„Für Frieden und gegen die russische Aggression“

Rede bei der Kundgebung am 25.02.2022 in Münster vor dem Historischen Rathaus


Vorbemerkung:
Zu der „Mahnwache“ hatten kurzfristig die Münsteraner CDU, FDP, Grüne und SPD aufgerufen. Mit laut Polizeiangaben rund 5.000 Menschen kamen viel, viel mehr als erwartet, viele mit selbst erstellten Schildern, Plakaten, Fahnen. Es sprachen erst Oberbürgermeister Markus Lewe, dann jeweils mit ca. fünfminütigen Beiträgen für die SPD Vorstandsmitglied Nina Gaedicke, für die Grünen der ehemalige Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei, für die CDU die Landtagsabgeordnete und Kreisvorsitzende Simone Wendland, für die FDP Kreisvorsitzender Paavo Czwikla.

Es folgt hier die Rede von Winfried Nachtwei.


Liebe Münsteranerinnen und Münsteraner,

der Himmel ist jetzt strahlend blau. Aber das ist eine Täuschung. Heute und gestern waren die düstersten Tage in Europa seit vielen Jahrzehnten.

Ein Alptraum wurde wahr.

Gestern in den frühen Morgenstunden griff das größte europäische Land das zweitgrößte Land, das UNO-Mitglied und „Brudervolk“ der Ukraine. Ein Land mit 15 Atomreaktoren. Der Angriff startete mit ballistischen Raketen, Marschflugkörpern, Luftwaffe, Panzern und Landstreitkräften, Cyber-Operationen.

Die Achtung der nationalen Souveränität und territorialen Integrität ist ein fundamentales Grundprinzip der internationalen Sicherheit und Friedensordnung seit der UNO-Charta 1945, bekräftigt in der Schlussakte von Helsinki 1975 und der Charta von Paris (1900). Im Budapester Memorandum von 1994 garantierten Großbritannien, die Russische Föderation und die USA die nationale Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine, als diese die auf ihrem Boden stationierten Atomwaffen an Russland abgab.

Mit diesen Grundprinzipien brach Präsident Putin.

Wie begründete Putin den Angriff auf die Ukraine?

  • Der angebliche Genozid an der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine solle gestoppt werden.
  • Die Ukraine solle „entmilitarisiert“ und „entnazifiziert“, das „Marionetten-regime“ in Kiew solle beseitigt werden.
  • Historisch sei der Ukraine jede Eigenstaatlichkeit abzusprechen, sie sei ein Teil Russlands.

Das alles sind Lügen, Lügen, Lügen. Die tatsächlichen Beweggründe Putins sind

  • Machterhalt seines autoritären Regimes gegen alle demokratischen Bewegungen, die sog. Farbenrevolution (die orange Revolution in der Ukraine ab 2004)
  • Die Wiederherstellung des alten Imperiums durch einen Ring abhängiger Staaten.
  • Schließlich, hierzulande noch relativ wenig beachtet, die Schwächung und Spaltung der demokratischen europäischen Welt.

Zeitenwende

Ich bin Jahrgang 1946. Als erster Friedensjahrgang hatten meine und nachfolgende Generationen das historisch einmalige Glück, auf dem früheren Kriegskontinent Europa über 70 Jahre Frieden zu erleben. In der Sicherheitspolitik sahen wir uns seit dem Ende des Kalten Krieges „von Freunden umgeben“.

Auch wenn in den 1990er Jahren auf dem Balkan der Krieg mit über 200.000 Toten nach Europa zurückkehrte. Zwischenstaatliche Kriege schienen undenkbar geworden zu sein. 2014 annektierte Putin-Russland die Krim und unterstützt seitdem verdeckt den Krieg der Sezessionisten im Osten gegen die Zentralregierung.

Jetzt entfesselte der russische Präsident erstmalig einen großen zwischenstaatlichen Landkrieg und kündigte damit die europäische Friedensordnung auf. Und damit ist gleichzeitig der UN-Sicherheitsrat, das höchste Organ der Weltgemeinschaft für internationale Sicherheit und Weltfrieden, blockiert.
Welche Folgen das für internationale UN-Friedenssicherung hat, ist noch gar nicht abzusehen.

Eigentlich bin ich kein ängstlicher Mensch. Aber jetzt kriecht in mir Angst hoch: Was kann jetzt noch kommen? Gestern telefonierte ich mit dem 96-jährigen Ghetto-Überlebenden Margers in Riga/Lettland. Er war von der Roten Armee befreit worden. Jetzt denkt er an 1939. Damals der deutsche Angriff. Jetzt der russische.

„Fehleinschätzungen und Illusionen“

In der heutigen taz erschien der Kommentar „Illusion und Scham“ von Tobias Schulze. Ein bemerkenswert selbstkritischer Kommentar:

„Deutschland hat Putin falsch eingeschätzt. Balten, Polen und Ukrainer lagen dagegen richtig mit ihrem Sicherheitsbedürfnis. Es bleibt Hilflosigkeit.“

Seit Jahrzehnten habe ich mit Vergangenheits- und Erinnerungsarbeit zu tun. Mein Eindruck ist: Wir haben aus europäischer und deutscher Geschichte viel weniger gelernt, als wir uns gemeinhin einbilden.

Was nun?

Meine Antwort muss aus Zeitgründen sehr unvollständig sein:

  • Harte Sanktionen sind notwendig, auch wenn sie hierzulande viel kosten und nicht schnell wirken werden.
  • Wir brauchen Wachsamkeit und Resilienz gegenüber weiteren Bedrohungen und möglichen Worst-Case-Szenarien (hybride Kriegführung, Desinformationskam-pagnen, Instrumentalisierung russischsprachiger Minderheiten, Zündeln in anderen Konfliktregionen wie Balkan, Westafrika), ohne dabei in Feindbilddenken zu verfallen. Dazu gehört besonders, die aktuellen und historischen Bedrohungserfahrungen unserer östlichen Nachbarn, z.B. im Baltikum, wahr- und erst zu nehmen.
  • Russland ist ganz und gar nicht gleich Putin! Seit Jahrzehnten gibt es zahllose Kontakte und Beziehungen zwischen Menschen und Gruppen in Deutschland und Russland, Ukraine und anderen osteuropäischen Ländern. Die Brücken nach Russland sind jetzt unter Druck. Umso mehr gilt es, sie zu pflegen, zu bewahren, vielleicht zu stärken.

Vor drei Tagen nahm ich an einer Zoom-Veranstaltung des Lew-Kopelew-Forums teil. Da wurde genau das bekräftigt. Lew Kopelew hatte auf Seiten der Roten Armee gegen die Wehrmacht gekämpft. Im Konflikt mit der Sowjetmacht und nach jahrelanger Lagerhaft wurde er zum Dissidenten. Unter anders schwierigsten Bedingungen setzte er sich vorbildlich für die Aussöhnung von Russen und Deutschen ein.

Danke für Ihre und Eure Teilnahme!

Ich habe hier schon viele Friedenskundgebungen erlebt, zum Beispiel 1991 mit 8.000 Menschen gegen den drohenden Golfkrieg.

Toll, dass heute so viele gekommen sind. Aber es sollte der Auftakt sein für eine Solidaritätsbewegung für Frieden und gegen Aggression in Europa!!

Jetzt geht es um Frieden in Europa, in unserem eigenen Haus!


Anmerkung:

Ich bin kein Osteuropaexperte, hatte aber immer wieder mit Mittelost- und Osteuropa zu tun:

Wie man der Ukraine JETZT helfen kann:

 

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