Keine Forderung gegen den Anfriffskrieg gegen die Ukraine, keine Solidarität mit den Angegriffenen: Aufruf zum Ostermarsch 2022 in Münster – ein Offenbarungseid

Zum Aufruf zum diesjährigen Ostermarsch in Münster mein Schreiben an die Friedensinitiative Münster (FIM):

Keine Forderung gegen den Angriffskrieg gegen die Ukraine, keine Solidarität mit den Angegriffenen:  Aufruf zum Ostermarsch 2022 in Münster – ein Offenbarungseid

Für Ostersamstag riefen zum Ostermarsch Münster auf die örtliche Friedenskooperative (FRIKO), Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), pax christi Diözesanverband Münster, VVN-BdA, DGB Stadtverband Münster, GEW Stadtverband Münster, FIM e. V., NaturFreund*innen, DKGZ e. V., Deutsch-Kurdischer Freundeskreis Senden

Die Kernforderungen

„Lasst uns gegen den Krieg, für eine Politik der gemeinsamen Sicherheit auf die Straße gehen!

Waffen Nieder!

Nein Zum Krieg!

Eskalationsspirale Stoppen!

Demokratie und Sozialstaat bewahren!

Keine Änderung des Grundgesetzes für die Hochrüstung!“

Der ganze Aufruf unter https://ms-alternativ.de/node/2844 , 5-Min.-Video unter https://www.youtube.com/watch?v=PWFBWQ_Yxuo

Am 51. Tag des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und ihre Zivilbevölkerung kamen rund 150 Personen zur Auftaktkundgebung am Schloss zusammen. Es folgte eine Fahrrad-Demo über die Stationen Deutsch-Niederländisches Corps, Historisches Rathaus, ehem. Luftwaffenkaserne in der Manfred-vom-Richthofen-Straße, Stubengasse. (Vor genau 40 Jahren startete von hier, dem damaligen Hindenburgplatz, der erste, viertägige Ostermarsch durch`s Münsterland – Dülmen, Selm, Dortmund – mit 2.000 Menschen. Meine Impressionen von 1982 im Anhang)

Auf handgemalten Pappschilder steht „Nie mehr mit deutschen Panzern gegen Russland“, „Waffen töten Freund und Feind“, „Für ein einiges sicheres Europa“, „100.000.000.000 Euro – No, No, No“, „Deutsche Waffen und Sanktionen schüren den Krieg! Stoppt die NATO-Ostexpansion! Geld für Soziales“. Eine Seniorin verteilt  ein Flugblatt der DKP Münster, das mit den Sätzen beginnt:  „Am 24. Februar ist das russische Militär in die Ukraine einmarschiert. Dieser Krieg hätte nicht begonnen werden dürfen. Das heißt auch:Dieser Krieg und das Leiden der Menschen müssen schnellstmöglich enden. Doch statt für eine friedliche Lösung zwischen den beiden Kriegsparteien Ukraine und Russland zu vermitteln, rühren die US-geführte NATO, inklusive der EU und Deutschland selbst die Kriegstrommel. Sie haben den Angriff Russlands genutzt, um ein nie dagewesenes Kriegsprogramm zu starten. (…)“ Der Tenor des Flugblatts: Die NATO habe Russland in den Krieg getrieben.

Am 14. April teilte ich der Friedensinitiative Münster (FIM) per E-Mail mit (Aktualisierungen kursiv)

„Für mich ist der Aufruf ein friedenspolitischer Offenbarungseid.

Im ersten Absatz verurteilt Ihr den Überfall der russischen Truppen auf die Ukraine als Völkerrechtsverletzung und Verbrechen gegen die Überlebensinteressen der Menschen in der Ukraine und in Gesamt-Europa, einen durch nichts zu rechtfertigenden Krieg.

Das ist es dann schon.

Seit Wochen führen die russischen Truppen einen Vernichtungsfeldzug gegen die Zivilbevölkerung und erklärtermaßen gegen die ukrainische Nation, der Präsident Putin schon seit längerem jede Eigenstaatlichkeit abspricht. Sein strategisches Ziel der Wiedererrichtung eines großrussischen Imperiums hat er offen benannt. Systematische Kriegsverbrechen, kriegerischer Imperialismus – warum schweigt Ihr dazu?!

Mit dem zweiten und dritten Absatz seid Ihr bei der „Hochrüstung“ der Bundesregierung und des Westens, die für Euch offenbar die Haupt-Friedensbedrohung zurzeit ist. Über die Größenordnung der angekündigten Erhöhung des deutschen Militäretats kann man zu Recht streiten. Aber Ihr verbreitet Halbwahrheiten und weicht Schlüsselfragen aus:

– Soll Eurer Auffassung nach das Recht auf nationale Selbstverteidigung aus der UN-Charta (Art. 51) und der Verteidigungsauftrag im Grundgesetz (Art. 87a) gestrichen werden?

– Gibt es angesichts des ersten zwischenstaatlichen Angriffskrieges in Europa seit dem 2. Weltkrieg und der Zerstörung der europäischen Friedensordnung durch eine Veto- und Atommacht nicht eine berechtigte Bedrohungswahrnehmung in Georgien, Moldawien, Polen, den baltischen Staaten, Finnland, Schweden und deshalb eine nachvollziehbare Rückbesinnung auf gemeinsame Sicherheit durch Bündnisverteidigung?

– Wie sieht es mit der Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik aus, wo in den letzten Jahrzehnten die Panzer der Bundeswehr um 4.700 auf 300 reduziert wurden, wo keine der acht Heeresbrigaden voll ausgestattet ist und nur nach Monaten der „Fernleihe“ voll einsatzfähig wäre? Wo war bisher die Rede davon, dass die Bundeswehr neue Brigaden und Divisionen aufstellen würde – als wesentliches Zeichen einer wirklichen „Hochrüstung“?

– Warum verschweigt Ihr, dass die Verhandlungen in der Ampelkoalition inzwischen zu erheblichen Veränderungen geführt haben: Im Haushaltsentwurf ist nicht mehr die Rede von den 2% vom  BIP, beim Sondervermögen hat es eine Öffnung zu einem umfassenden Sicherheitsverständnis gegeben. Der „Energie- und Klimafonds“ der Bundesregierung (künftig „Klima- und Transformationsfonds“ für die Jahre bis 2026) wurde von 100 auf 200 Milliarden Euro erhöht.

„Die Prinzipien der europäischen Sicherheit behalten ihre Gültigkeit“ – völlig richtig.

Aber was tun, wenn die Atommacht Russland mit diesen Prinzipien bricht? Wenn gegenseitiger Respekt vom Putin-Regime beschossen, bombardiert, ausgehungert, massakriert wird? Eure „Forderung“ dazu: Sollen die Angegriffenen doch selbst damit fertig werden, kein Beistand für die Selbstverteidiger!

„Niemals vergessen – die deutschen Verbrechen der Vergangenheit!“ – völlig richtig.

Kein Wort dazu, wie die russische Propaganda die ukrainische Regierung und Mehrheit als Neonazis diffamiert, wie sie Erinnerung an den Nazismus zynisch instrumentalisiert und verdreht und dadurch zum Abschuss freigibt. Kein Wort, geschweige Zeichen der Solidarität gegenüber den Nachkommen der Opfer des deutschen Vernichtungskrieges (acht Millionen Tote, ein Viertel der Bevölkerung). Sie werden gnadenlos im Stich gelassen und vertröstet auf den Einsatz „für eine langfristige europäische Friedensordnung unter Einschluss Russlands“ – dem Zerstörer der heutigen Ukraine!

Unter der Überschrift „Nicht vergessen“ praktiziert Ihr Vergessen gegenüber der ukrainischen Bevölkerung und ihren kollektiven historischen Erfahrungen.

(Hierzu einige historische Erinnerungen mit Münsterbezug als Anlage: „Zwischen Geschichtsvergessenheit und historischer Verantwortung Deutscher Vernichtungskrieg in der Ukraine 1941-43 und russischer Angriffskrieg gen die Ukraine jetzt“, https://domainhafen.org/2022/04/10/zwischen-geschichtsvergessenheit-und-historischer-verantwortung-der-deutsche-vernichtungskrieg-in-der-ukraine-1941-43/ )

„Die Welt der Zukunft braucht Frieden, keine Hochrüstung!“ – wie wahr.

Angesichts „dieses Krieges in Europa“ verstärkte Großmachtpolitik, also alle gleich schlimm – der Angreifer und die sich erstaunlich besonnen verhaltene NATO?

Der Angriffskrieg gegen die Ukraine wird die globale Nahrungsmittelkrise enorm verschärfen. Nicht der Rede wert?

Eure unmittelbaren Forderungen:

– Keine einzige explizit gegen den Angriffskrieg; keine zur Verteidigung des Völkerrechts

– Für gemeinsame Sicherheit – prinzipiell richtig, aber in der jetzigen Situation mit wem? Gemeinsam mit Völkerrechts- und Kriegsverbrechern?

– Keinerlei Solidarität mit den Angegriffenen, keinerlei Überlebenshilfe

– Verzicht auf Verteidigungsfähigkeit Deutschlands

– Nur die richtige Solidarität mit Flüchtlingen, Deserteuren

Der Aufruf ist

  • ein Dokument der Verharmlosung und Relativierung des russischen Angriffskrieges,
  • der Solidaritätsverweigerung gegenüber den Angegriffenen und der Äquidistanz gegenüber Recht und Unrecht.
  • Eure Selbstgewissheit scheint unerschütterlich zu sein. Gibt es für Euch keine offenen, gar selbstkritischen Fragen?
  • Mit diesem Aufruf leistet Ihr einer Friedensbewegung, die Glaubwürdigkeit und friedenspolitische Kompetenz braucht, um Gehör zu finden, einen Bärendienst.

ANHANG

1982: Anti-»Nachrüstungs«bewegung (Winni Nachtwei)

Am Freitag Start des Ostermarsches »Münsterland» mit ca. 2.000 Leuten. Hatte vorher noch schnell ein Flugblatt erstellt, das wir in 4.000 Exemplaren während der vier Tage verteilten. Schon bei der ersten Kaserne ein schöner Zwischenfall: Reiche einem Soldaten durch`s Tor Flugblätter. Er packt meinen Arm und sagt, er würde am liebsten selbst mitziehen, und wünscht uns alles Gute. Anders dagegen der Posten an der britischen Kaserne an der Roxeler Straße: »Go, go!« und weicht zurück. Toll dann der Zug durch die Baumberge, durch schneidenden Wind und Schneeregen, endlos der Lindwurm. In Dülmen haut`s mich um: Überall Plakatständer mit Sprüchen wie »kein Bock auf Ostblock; Moskau grüßt die Demonstranten; lieber rot als tot, sagt der Hummer, bevor er in den Kochtopf kam«. Bei strahlender Sonne über die Felder vorbei an der St. Barbara-Kaserne. In den Büschen sieht man die Armbinden von Wachtposten, Offiziere hinter Feldstechern, dann am »Sondermunitionslager« Visbeck vorbei – schweigend. Als später wieder Schneeregen runterprasselt, bricht alles in Indianergeheul aus, hinten spielt einer Weihnachtslieder. Im Zug viele Gespräche, viel Vergnügen. Dazu Flugblattverteilen – die allermeisten nehmen interessiert – und Winken zu den Fenstern und entgegenkommenden Pkw`s. Für das Zusammenwachsen der örtlichen Friedensbewegung, für die Unterstützung der kleinen Initiativen auf dem Land, an Sympathien für die Friedensbewegung überhaupt hat der Marsch sehr viel gebracht. Erstaunlich auch diese Mischung aus Chaos und Selbstdisziplin, die sich vor allem in Sachen Abfall zeigt. Die 1000 waren sauberer als eine einzige Schulklasse!

(aus: Im Schatten von Lamberti: „Solidarisieren, mitmarschieren!“ Eindrücke aus der Münsteraner Demonstrationsgeschichte seit 1967 aus der Feder eines Zeitzeugen, im Stadtbuch Münster 1993)

 

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