Über „Nie wieder! Nie wieder? Verantwortung zum Schutz vor Kriegs- und Massengewalt“ hielt ich an der Katrholischen Hochschule NRW in Münster am 2. Juni einen Vortrag vor dem Hintergrund meiner inzwischen mehr als vierzigjährigen Beschäftigung mit Krieg und Gewaltverhütung.
„Deutschland ist in Sachen Verhinderung von Völkermord ein Laiendarsteller“ – Winfried Nachtwei zu Gast beim Forum an der Piusallee
Unter dem Titel „Nie wieder! Nie wieder? Verantwortung zum Schutz vor Kriegs- und Massengewalt“ durfte die katho am 2. Juni Winfried Nachtwei begrüßen, Politiker der Grünen und (parteiübergreifend anerkannter) Experte für Friedens- und Sicherheitspolitik. Begrüßt und vorgestellt wurde der Gast vom Moderator_innenteam, bestehend aus Ursula Tölle und Sebastian Laukötter, beide Lehrende an der Abteilung in Münster. Die Veranstaltung stellte die inhaltliche Fortsetzung des Formats mit dem nun leider wieder sehr aktuellem Thema Krieg dar. Neben den etwa 50 anwesenden Gästen vor Ort befand sich mit dem Politikwissenschaftler Georg Albers auch der Vortragende der letzten Forumsveranstaltung im April zum gleichen Themenkomplex unter den etwa 20 digital zugeschalteten Zuhörer_innen.
(Foto) Die Moderator_innen des Abends: Prof. Dr. Sebastian Laukötter (li) und Prof. Dr. Ursula Tölle (re); Referent: Winfried Nachtwei (Mitte)
Zu Beginn seines Vortrages verwies Nachtwei zunächst auf sein Geburtsjahr (1946) und das damit verbundene Glück, bis heute ein Leben ohne eigene Kriegserfahrung führen zu dürfen. Trotzdem ist das Thema des Krieges und des damit zusammenhängenden Leids seit Jahrzehnten das zentrale Thema seiner politischen Beschäftigung und Aktivitäten. Seine ersten Aktivitäten in der damals entstandenen Friedensbewegung der 70er-Jahre galten dem Entgegentreten gegen das atomare Wettrüsten. Prägend waren für Nachtwei und seine Frau die Spurensuche des deutschen Vernichtungskrieges in Belarus, der Ukraine und im Baltikum – hier vor allem in Riga. Große Betroffenheit löste in Nachtwei (und wohl auch vielen Zuhörer_innen) die Tatsache aus, dass in vielen Orten, an denen beispielsweise Massenerschießungen von jüdischen Bürger_innen stattfanden, bis vor wenigen Jahren nichts an diese Verbrechen erinnerte. Unbestritten ist hier, wie entscheidend Erinnerungsarbeit ist, wenn es um ein Nachdenken über Kriegsprävention geht.
In weiteren Schlaglichtern beleuchtete Nachtwei die Kriege und Krisen in den 90er-Jahren, insbesondere im ehemaligen Jugoslawien. Aus politischer Perspektive war für ihn hier die Einsicht bedeutend, die auch in der bis dahin pazifistisch auftretenden Partei der Grünen langsam aufkeimte: Die Einsicht, dass militärische Gewalt unter bestimmten Bedingungen ein legitimes Mittel sein kann – eben um zum Beispiel Massaker wie jenes von Srebrenica zu verhindern. Mit dieser Erkenntnis tue sich nach Nachtwei aber die deutsche Politik schwer. „Deutschland ist in Sachen Verhinderung von Völkermord ein Laiendarsteller“.
Und trotzdem ist genau das möglich: Mit Verweis auf den 2001 drohenden Bürgerkrieg in Mazedonien, der dank entsprechender diplomatischer Bemühungen verhindert werden konnte, zeigte der Referent, dass punktuell tatsächlich kriegerische Auseinandersetzungen präventiv verhindert werden können. „Das bleibt oft aber in der Öffentlichkeit weithin unsichtbar“, so Nachtwei.
Auch die Kriege in Afghanistan (ab 2001) und im Irak (2003) beleuchte der Referent und rief in Erinnerung, welche Rolle Deutschland in diesen Kriegen (nicht) spielte.
Nach dem Ende seines Vortrages beantwortete Winfried Nachtwei Fragen aus dem Publikum und zeigte – sicherlich auch als Zeichen der Ermutigung an die jüngeren Zuhörer_innen – wo Politik in der Vergangenheit nachhaltig Beiträge leisten konnte zur Prävention von Kriegen, zum Wachhalten der Erinnerung im Sinne des „Nie wieder!“ Allerdings – und hier schließt sich der Kreis – kann aus dem Ausrufezeichen auch ein Fragezeichen („Nie wieder?“) werden. Denn das zuvor genannte Glück der fehlenden Kriegserfahrung kann in einer Gesellschaft schnell auch in ein Vergessen münden. Ein Vergessen, welches zur Gefahr wird.
Text: Prof. Dr. Johannes Nathschläger
Foto: Prof. Dr. Felix Nuss
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