Angriff + Luftüberfall auf Stalingrad vor 80 Jahren, dabei die 16. PD aus Münster – Erinnern auch zzt. des Angriffskrieges auf die Ukraine

Die 16. Panzerdivision/Münster am 23. August 42 an der Spitze des Angriffs auf Stalingrad, gleichzeitig greifen über 1000 Flugzeuge die Stadt an.

von Winfried Nachtwei, Vorstandsmitglied von „Gegen Vergessen – Für Demokratie“

„Am frühen Morgen des 23. August 1942 rollte die 16. Panzerdivision durch die Steppe vom Don nach Osten. Am Abend standen ihre Truppen am Ufer der Wolga“ So beginnt der Klappentext des SPIEGEL-Bestsellers „Stalingrad“ des britischen Militärhistorikers Anthony Beevor[1] (2020/22) Die 16. Panzerdivision galt als „Speerspitze der 6. Armee“, als „Rammbock des XIV. Panzerkorps“. Ihr Heimatstandort war Münster in Westfalen.

Mit dem  Angriffskrieg gegen die Ukraine missbraucht das Putin-Regime die kollektive Erinnerung an den Kampf gegen Nazi-Deutschland, um die demokratisch gewählte Regierung der Ukraine, sich verteidigende Ukrainer:innen und Andersdenkende generell als Feinde zu markieren und zum Abschuss freizugeben. Gebrochen wurde mit Ansätzen eines europaweiten antinazistischen Konsenses.  Die „Versöhnung über den Gräbern“ und Friedensarbeit zwischen ehemaligen Kriegsgegnern, wie sie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und Partner seit vielen Jahren vor allem mit Jugendlichen voranbringen, musste in Russland und der Ukraine ausgesetzt werden. Für die kollektive Erinnerung an das Menschenschlachten von Stalingrad vor 80 Jahren und das Lernen daraus ist das ein deprimierender Rückschlag. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung und das Gedenken an die menschengemachte Hölle vor 80 Jahren wenigstens hierzulande wachzuhalten.

Die folgende Materialzusammenstellung knüpft an frühere von 2013 und der letzten Monate an und setzt meine Nachforschungen zum Vernichtungskrieg im Osten seit 1988 fort.

Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion mit 81 Infanterie-Divisionen, 17 Panzer- und 15 motorisierte Divisionen, 9 Polizei- und Sicherungsdivisionen, mit 3.350 Panzern und über 2.000 Flugzeugen, insgesamt 3.050.000 deutsche Soldaten (mit verbündeten Armeen sogar vier Millionen). Es war die größte Angriffsstreitmacht der Weltgeschichte.

Die 16. Panzerdivision aus dem Wehrkreis VI/Münster gehörte zur Heeresgruppe Süd, die  998.000 Soldaten, 962 Panzer und 969 Flugzeuge umfasste. Ihr Angriff führte südlich der Pripjet-Sümpfe durch den Großraum der heutigen Ukraine mit den strategischen Zielen Dnjepr, Kiew, Donezbecken. Zur HG Süd gehörten die 6., 17. und 11. Armee sowie der Panzergruppe 1, die 16. Panzerdivision bis Juni 1942 zur 1. Panzergruppe bzw. –armee.

Den Fronttruppen der Wehrmacht folgten unmittelbar als mobile Massenmordkommandos die Einsatzgruppen von Sicherheitspolizei und SD: Die Einsatzgruppe C mit den Sonderkommandos 4a, 4b und den Einsatzkommandos 5 und 6 (insgesamt rund 700 Mann) der Heeresgruppe Süd in der nördlichen und mittleren Ukraine, die Einsatzgruppe D (10a, 10b, 11, a, 11b, 12, insgesamt rund 600) der 11. Armee der Heeresgruppe Süd in die südliche Ukraine.

Im August 1942 war die 16. Panzerdivision schon mehr als ein Jahr am deutschen Angriffs- und Vernichtungskrieg auf dem Boden der Ukraine beteiligt. Viele Städte, bei denen 1941/42 riesige Kesselschlachten stattfanden (Uman, Kiew, Charkow) und in denen Abertausende jüdische Menschen ermordet wurden, tauchen jetzt bei der Kriegsberichterstattung aus der Ukraine wieder auf. (vgl. „Zwei Kriege in der Ukraine“[2])

Das Stalingraddenkmal der „16. Infanteriedivision/16. Panzerdivision 1939-1945“[3] steht seit 1961 an der Münsteraner Promenade, Nordostecke Schlossplatz am Kalkmarkt hinter „Zigarren Lammerding“ unweit vom Gebäude des heutigen Deutsch-Niederländischen Corps. Zur Kriegszeit befand sich dort das Generalkommando des VI. Armeekorps der Wehrmacht und der Befehlshaber des Wehrkreises VI (Rheinland und Westfalen). Aus dem Wehrkreis wurden insgesamt 14 Divisionen in den Krieg gegen die europäischen Nachbarn entsandt. Die Geschichte der 16. ist heutzutage weitgehend verdrängt, vergessen – und unerforscht. Dass im Gebäude des früheren Generalkommandos seit 27 Jahren ehemalige Kriegsgegner auf der Basis der UN-Charta integriert für kollektive Sicherheit zusammenarbeiten, ist ein positiver Kontinuitätsbruch sondergleichen.

Aus den Briefen des Truppenarztes Helmut Machemer, Aufklärungsabteilung der 16. Panzerdivision, Fronterfahrungen Herbst 1941 bis Frühjahr 1942 in der Ukraine

Er schildert die verbissenen, opferreichen Kämpfe, wo bei der ersten Schneeschmelze das Schmelzwasser rot war, „die Erde ist hier buchstäblich mit Blut gedüngt.“[4] Ein Assistenzarzt aus einer Infanterie-Division berichtet ihm im Februar 1942: „Mehr als 2.000 km sind die Leute zu Fuß gewetzt bis hierher, täglich 30, 40 km und dann zwischendurch gekämpft. Dann wieder gewetzt in den Dreck und Schlamm. Die Wagen noch geschoben, weil die Pferde schlapp machten. Krankmeldungen durfte es so gut wie nicht geben, die Leute mussten immer wieder ran. Und sie haben es auch gemacht. Aber jetzt ist es mit Ihnen zu Ende.“[5] Mehr als die Hälfte der übrig gebliebenen Mannschaft sei untauglich geworden. „Ich habe da einen schönen Anschiss bekommen vom Divisionsarzt, der das einfach nicht glauben wollte.“

Die Kriegsspur der 16. Panzerdivision Mai – Juli 1942 laut Divisionsgeschichte[6]

– Ende April 1942 aus der Winterstellung am Mius in den Raum Stalino/Makejewka

– Im Mai Gefechte bei Isjum, Oblast Charkow, am Ufer Slwersky Donez 125 km südöstlich Charkow; (23. Juni 1942 bis 5. Februar 1943 von der Wehrmacht besetzt) bei Berwenkowo und Losowaja; (Ende der Kesselschlacht von Charkow mit 20 Schützendivisionen, 7 Kavalleriedivisionen und 14 Panzerbrigaden auf Seiten der Roten Armee; laut Wehrmachtsbericht angeblich 240.000 sowjetische Gefangene, durch die 16. Pz.Div. 31.500 Gefangene, 700 Mann eigene Verluste).

– Im Juni nach Norden Skripai, Buluk, Kessel von Woltschansk – Tschujujew – Kubjansk („Unternehmen Wilhelm“), angeblich 24.000 sowjetische Gefangene, davon 2.200 bei der 16. Pz.Div.

– 22. Juni Angriff auf Kupjansk am Oskol („Unternehmen Friederikus“, Gewinnung eines Brückenkopfes), Ablösung, zurück nach Makejewka; Wechsel vom III. Panzerkorps zum XIV. Panzerkorps der 6. Armee. (mit 3. und 60. mot. Infanteriedivision)

– Im Juli Beginn der Sommeroffensive, Ziel: die Wolga in 400 km Breite von Saratow bis Stalingrad, die Ölfelder des Kaukasus, Vereinigung mit dem Afrikakorps in Persien und Angriff längs der Wolga in den Rücken Moskaus. An der Front von Kursk bis Taganrog Aufmarsch von fünf deutschen Armeen, hinter ihnen je eine rumänische, ungarische und italienische Armee. (Die 6. Armee umfasste am 19.11.1942 21 Divisionen)

– 8. Juli Ein Major befiehlt Angriff über ein erkanntes Minenfeld, „Die Panzer hatten starke Verluste. (…) Das Unternehmen blieb liegen.“ (Werthen S. 97) Eine Gruppe der Division erreicht den Donez südlich Lissitschansk (Lyssytschansk). Die Masse der Division erreicht den Raum Artemowsk (Bachmut) am 14. Juli.

– Vormarsch nach Osten, fast kampflos; Wechsel zur 4. Panzerarmee, die zusammen mit der 2. und 6. Armee (Paulus) die Heeresgruppe B bilden; Donsteppe

„Am 22. Juli stand die 16. Pz.Div. bei Bobowskaja am Tschir. In zehn Tagen hatte sie die   Zone überwunden. Vor ihr lag nun der Große Donbogen; 150 km Luftlinie bis zur Don-Wolga-Enge, 200  km Luftlinie bis Stalingrad!“ (S. 99)

Kämpfe am Großen Donbogen, Höhepunkt am 29.-31. Juli;

– Panzerschlacht von Kalatsch: 8.300 sowjetische Gefangene, 275 Panzer zerstört. Von 13.000 Soldaten der sowjetischen 181. Schützendivision können nur 105 über den Don entkommen. „1.000 Panzer waren der Division seit dem 22. VI. 41 zum Opfer gefallen.“ (Werthen S. 104)

Der Vorstoß zur Wolga:

„In der Nacht zum Sonntag, dem 23. VIII., überschritt die 16. Pz.Div. an der Spitze des XIV. Panzerkorps die 140 m lange Pontonbrücke über den Don. Um 4.30 Uhr brachen die Panzer der KG Sieckenius wie auf dem Exerzierfeld in breitem Keil aus dem Brückenkopf heraus, dicht gefolgt von KG Krumpen und v. Arenstorff. Links rollte die 3., rechts die 60. I.D. (mot.) nach Osten. In dichten Pulks trugen die Stukas ihre Bomben nach Stalingrad und ließen auf dem Rückflug dicht über den Türmen der vorrollenden Panzer übermütig ihre Sirenen heulen Nach hartem Gefecht überwand die 16. Pz.Div. den Tatarengraben und überquerte südlich. Kotluban die Bahnlinie Frolow-Stalingrad. Eisenbahnzüge gingen in Flammen auf. Der Gegner schien völlig überrascht. (…)

Am frühen Nachmittag erblickten die Kommandanten der Panzer am Horizont rechts drüben die imposante Silhouette der Stadt Stalingrad, die sich 40 km lang an der Wolga hinstreckte. Fördertürme und Schlote, Hochhäuser und Türme sahen aus den Qualmwolken der Brände hervor. (…) Gegen 15.00 Uhr kam feindliches Feuer auf. Von den nördlichen Vorstädten, Spartakowka mit seinem Traktorenwerk, Rynok und Lataschinka stand russische Flak, von Frauen bedient. Sie empfingen die Angreifer mit ihren Granaten. Geschütz für Geschütz mussten 37 Feuerstellungen von Pz.Abt. v. Strachwitz und II/64 niedergekämpft werden.

Und dann standen die ersten Panzer an dem überragenden Westufer der Wolga. Still und majestätisch floss der breite, schwarze Strom dahin und trug Schleppkähne flussabwärts, und drüben dehnte sich die asiatische Steppe ins unendliche. (…) Zur Nacht igelte die Division am Nordrand der Stadt nahe am Strom. (…) Wie Pfähle im Fleisch ragten die Vorstädte Spartakowka und Rynok in den Verteidigungsring hinein. (…) Die Stellung an der Wolga war besonders gefährdet. (…) Noch waren 3. und 60. I.D. (mot.) nicht heran.“

Der Vormarsch zur Wolga und Angriff auf Stalingrad laut Anthony Beevor(S.129 ff.)

Am 21. August 1942 überquerten Infanteriekompanien bei Einbruch der Dämmerung in aufblasbaren „Floßsäcken“ und Sturmbooten den Don. Sie erreichten und befestigten einen Brückenkopf, Pionierbataillone schlugen darauf eine Pontonbrücke. „Kurz nach der Mittagsstunde des 22.August war die erste Brücke fertig, und General Hubes 16. Panzerdivision, „der Rammbock des Korps“, begann mit der Überquerung. (…)“

Am 23. August begann bei beginnender Dämmerung der Vormarsch. Am Nachmittag werden die Panzertruppen von Wellen von Junkers-88- und Heinkel-Bombern und Stukas (angeblich um 1.200 Flugzeuge) überflogen.

Der 23. August wird für die „Musterstadt Stalingrad“ und ihre Bewohner zum Inferno. Dem Angriff der 6. Armee voraus geht der Angriff der Luftflotte 4 unter General Wolfram Freiherr von Richthofen. Seine Flieger „begannen staffelartig mit dem Abwurf von Bombenteppichen nicht nur auf industrielle Ziele, sondern auf alles. (…) Brandbomben gingen auf die Holzbauten im Südwesten der Stadt nieder. Die Häuser dort verbrannten vollständig. (…) Die großen Öltanks an der Wolga wurden ebenfalls getroffen. Ein Flammenball schoss etwa 500 m hoch in den Himmel, und während der folgenden Tage konnte man aus einer Entfernung von mehreren hundert Kilometern die schwarze Rauchsäule sehen. (…) Bomben zerstörten das Telefonamt sowie das Wasserwerk, und selbst das Hauptkrankenhaus von Stalingrad wurde von einer Reihe von Bomben getroffen. (..)

Der Luftüberfall auf Stalingrad war der konzentrierteste an der Ostfront überhaupt, er stellte einen Kulminationspunkt in Richthofens Karriere seit Guernica dar. Die Staffeln der Luftflotte 4 flogen an jenem Tag insgesamt 1.600 Einsätze und warfen 1.000 Tonnen Bomben ab, wobei sie nur drei Maschinen verloren. Einigen Schätzungen zufolge haben sich in Stalingrad zu diesem Zeitpunkt fast 600.000 Menschen aufgehalten, 40.000 wurden in den ersten Wochen der Bombenangriffe getötet.“ (Ein knappes Jahr später, vom 25. Juli bis 3. August 1943, starben in Hamburg bei der alliierten Operation „Gomorrha“ um 40.000 Menschen.)

(General von Richthofen war Befehlshaber der Legion Condor, die 1937 die spanische Stadt Guernica zerstörte. Sein VIII. Fliegerkorps zerstörte im April 1941 Belgrad und tötete 17.000 Zivilisten. Die Stalingrad–Ausstellung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr von 2012/13[7] zeigt auch die 1921 geborene Jagdfliegerin Lidja W. Litwjak, die im September 1942 den ersten deutschen Bomber über Stalingrad abschoss. „Als sie Mitte 1943 tödlich abgeschossen wurde, war sie mit mindestens elf Luftsiegen die erfolgreichste Jagdfliegerin der Roten Armee.“ MHM-Katalog S. 296. Insgesamt gab es in der Roten Armee drei rein weibliche Flugregimenter.)

„Während Richthofens Bomber Stalingrad zertrümmerten, stieß die Speerspitze der Sechsten Armee, die 16. Panzerdivision, nahezu ungehindert fast 40 km über die Steppe vor. „Bei Gumrak verstärkt sich der feindliche Widerstand, und an der Nordwestecke der sich lang nach Süden erstreckemden Stadt Stalingrad empfängt wildes Flakfeuer die Angreifer“ verzeichnet das Divisionstagebuch.

Der Widerstand erfolgte von jenen Batterien, die von jungen weiblichen Freiwilligen bedient wurden, die kaum die höhere Schule verlassen hatten. Aufgrund der Knappheit an Munition hatten nur wenige von ihnen zuvor bereits Kanonen abgefeuert, und keine war dahingehend ausgebildet worden, Ziele am Boden zu treffen. “  (Ergänzender Hinweis bei der MHM-Ausstellung: Arbeiter des Traktorenwerkes hätten mit 60 neuen T 34 verhindert, dass die 16. Pz.Div. handstreichartig in die Stadt eindringen konnte. MHM-Katalog S. 41)

„Die deutsche Spitze stieß einige wenige, letzte Kilometer vor. Gegen 16.00 Uhr (…) erreichte sie Rynok nördlich von Stalingrad, und dort sahen die Soldaten der 16. Panzerdivision die träge dahinfließende Wolga dicht vor sich.“ (Zu dem Zeitpunkt verfügte die Division nur noch über 75 einsatzfähige Kampfpanzer.)

„Die Mannschaften der Flakbatterien erwiesen sich als erstaunlich widerstandsfähig. Laut Hauptmann Sarkisjan „weigerten sich die Mädels, in den Bunker herunterzugehen.“ Der Bericht der 16. „ließ keinen Zweifel an der Tapferkeit dieser jungen Frauen: ´Bis in den späten Abend hinein müssen 37 feindliche Flakstellungen, die vielfach von zäh und verbissen kämpfenden Frauen bedient wurden, Geschütz für Geschütz niedergekämpft werden.` Die deutschen Panzertruppen waren entsetzt, als sie herausfanden, dass sie auf Frauen geschossen hatten. Die Russen finden diese Art von Zimperlichkeit (…) unverständlich, wenn man in Betracht zieht, dass Richthofens Bomber in Stalingrad am selben Nachmittag viele Tausende Frauen und Kinder getötet hatten.“ (S. 135)

„Jene Arbeiter die nicht direkt mit der Waffenproduktion für den unmittelbaren Bedarf beschäftigt waren, wurden für „Spezialbrigaden“ der Miliz mobilisiert. (…) Es wurden Munition und Gewehre verteilt. Aber viele der Männer erhielten erst eine Waffe, nachdem ein Kamerad gefallen war. Im nördlichen Industrievorort Spartakowka wurden schlecht bewaffnete Bataillone der Arbeitermiliz mit vorhersehbaren Ergebnissen gegen die 16. Pz.Div. in den Kampf geschickt. Studenten der Technischen Universität, die an der nördlichen Flanke der Stadt Gräben aushoben, fuhren auch dann mit ihrer Arbeit fort, als sie bereits von der 16. Panzerdivision unter Feuer genommen wurden.“ Das Lehrpersonal „beteiligte sich beim Aufbau eines „Zerstörerbataillons“ der örtlichen Verteidigung. (…) Als Bataillonskommissarin fungierte eine junge Mechanikerin aus der Traktorenfabrik, die auf den Bau von T 34 umgestellt worden war. Dort sprangen die Freiwilligen bereits in die Panzer, bevor diese ihren Anstrich erhalten hatten. Sobald Munition (….) aufgeladen war, fuhren sie die Fahrzeuge vom Fließband weg direkt in die Schlacht, obwohl sie bezüglich der Feuerkraft noch übererhebliche Mängel verfügten.“

(„Die Infanterie konnte noch immer nicht nachrücken und die Flanken der 16. Panzer-Division wurden von Rotarmisten der 35. Schützen-Division eingeschlossen. General Hube verkündete in dieser Situation folgenden Befehl:

„Die Knappheit an Munition und Treibstoff führt dazu, dass unsere einzige Chance darin liegt, nach Westen durchzubrechen. Ich weigere mich strikt, eine sinnlose Schlacht zu führen, die mit der Vernichtung meiner Truppen enden muss und erwarte daher den Befehl, nach Westen ausbrechen zu dürfen. Ich werde die volle persönliche Verantwortung für diesen Befehl übernehmen und werde ihn bei den zuständigen Stellen zu rechtfertigen wissen. Meine Herren, ich entbinde Sie hiermit von Ihrem Treueeid und überlasse Ihnen oder den Männern, denen Sie das Kommando übertragen, die Entscheidung. Es ist unmöglich unsere Stellungen ohne Munition zu halten. Ich handle hiermit gegen den Führerbefehl.“

– General Hans-Valentin Hube, Kommandeur der 16. Panzer-Division am 24. August 1942.[8] Die 60. (mot.) Infanteriedivision erreichte am 30. August ihr Ziel und unterstützte die eingeschlossene 16. Panzerdivision. Wikipedia-Eintrag zur 16. Panzerdivision),

An der Nordflanke erbeutete ein Kradbataillon „Lent-and-lease-Material, das aus Lieferungen aus dem ´Pachtleihvertrag` mir den Amerikanern stammte“ und sich bald großer Beliebtheit erfreute. „Die Offiziere der 16. Panzerdivision hielten insbesondere die amerikanischen Jeeps mit ihren frisch aufgemalten sowjetischen Emblemen für weit bessere Fahrzeuge als ihre eigenen Kübelwagen.“ (S. 137)

„Die deutschen Bombardierungen der Stadt wurden mit einem ´großen Luftangriff` am Nachmittag des 25. August fortgesetzt.“ Die Luftwaffengeschwader fuhren „fort, die Stadt in ihrer ganzen Länge zu zertrümmern.“

Evakuierung von Frauen und Kindern über die Wolga

„Schließlich gestattete man den Frauen und Kindern von Stalingrad, auf den vom NKWD beschlagnahmten Booten zum Ostufer überzusetzen. (…) Die Überfahrt war gewiss ebenso gefährlich wie das Verbleiben auf dem Westufer, weil die Luftwaffe ständig Boote angriff, welche die Wolga überquerten. (…) Die Familien, die übersetzten, sahen schwärzliche Leichen, die verkohlten Klötzen glichen, vorbeitreiben, und Teile des Flusses standen immer noch wegen aus den Vorratstanks ausgelaufenen Öls in Flammen. (…)

Die Geschütze der 16. Panzerdivision waren ebenfalls seit diesem ersten Sonntagabend im Einsatz und machten ihre Anwesenheit an der Wolga durch Versenkung eines Frachtdampfers und Beschießung eines Kanonenboots deutlich. Außerdem nahmen sie die Eisenbahnfähre unter Feuer, hinterließen ein Wirrwarr von verbrannten und zerschossenen Waggons und versenkten im Laufe der nächsten Tage sieben Flussschiffe. Die Panzermannschaften bezeichnete diese als „Kanonenboote“  und schienen nicht zu erkennen, dass sie auch zur Evakuierung von Zivilisten dienen konnten.

Am dritten Abend  beschossen deutsche Panzer einen Raddampfer, der Frauen und Kinder von der Stadt zum Ostufer brachte. Als sie Hilfeschreie und Weinen hörten, baten die Soldaten ihre Kommandeure, einige er Schlauchboote der Pioniere benutzen zu dürfen, um diese Menschen zu retten. Aber der zuständige Leutnant weigerte sich mit dem Argument:

„Wir kennen die Art, wie der Gegner Krieg führt.““ (S. 139)

„Bei der ersten Gelegenheit schrieben die Soldaten von der Wolga nach Hause, dass sie stolz seien, zu den ersten zu gehören, die an der neuen Ostgrenze des ´Großdeutschen Reiches` standen.“

„Keinen Schritt zurück“

Hinter der Front der Roten Armee wurden „größere Abwehrmaßnahmen vorbereitet. Das Verteidigungskomitee von Stalingrad gab folgenden Befehl heraus: „Wir werden unsere Stadt nicht den Deutschen überlassen! Ihr alle sollt Brigaden organisieren und beginnen, Barrikaden aufzubauen. Barrikaden in jeder Straße … so schnell und in solch einer Weise, dass die Soldaten, die Stalingrad verteidigen, den Gegner ohne Gnade vernichten!“ (S. 141)

„An der Nordflanke der Sechsten Armee blieb dem XIV. Panzerkorps kaum Zeit zum Durchatmen. Die Russen führten ständig Ablenkungsangriffe zu beiden Seiten des Korridors durch. (…) Russische Bomber attackierten nun die deutschen Stellungen rund um die Uhr und operierten dabei in niedriger Höhe über der Wolga.“ (S. 143)

„Am 29. August, einem Samstag, fiel beinahe Tag und Nacht ununterbrochen Regen. Die Soldaten waren total durchnässt und die Gräben von Wasser vollgelaufen. (….) Man schien dem vermeintlichen Endziel nach einem vier Monate dauernden, fast ununterbrochenen Vormarsch doch schon so nahe gewesen zu sein.

Bei der 16. Panzerdivision in Rynok am Wolgaufer war die zunächst optimistische Stimmung dem grauen Alltag gewichen. Die Schrebergärten und Obstgärten, in denen sie ihre Fahrzeuge verborgen hatten, waren durch sowjetisches Artilleriefeuer zerstört worden, zurückgeblieben waren Explosionskrater und von Schrapnellen zerfetzte Bäume. Alle machten sich Sorgen wegen der anwachsenden Konzentration sowjetischer Streitkräfte im Norden.“ (S. 144)

„Die Deutschen mussten eine ihrer schwersten Verlustraten in jenem Sommer hinnehmen. Nicht weniger als sechs Bataillonskommandeure fielen an einem einzigen Tag, und etliche Kompanien bestanden nur noch aus jeweils 40 oder 50 Mann. (Die Gesamtverluste an der Ostfront betrugen zu diesem Zeitpunkt etwas mehr als eine halbe Million.) Bei Verhören sowjetischer Gefangener zeigte sich, welcher Entschlossenheit die Deutschen nun gegenüberstanden. So hieß es in einem Bericht: „Aus einer Kompanie blieben nur noch fünf Mann am Leben. Sie haben Befehl erhalten, dass Stalingrad niemals aufgegeben werden darf.““  Zu dem Zeitpunkt gab es in Stalingrad „weniger als 40.000 Verteidiger, die sich er Sechsten Armee und der Vierten Panzerarmee entgegenwarfen.“

Die Deutschen waren während der ersten Septemberwoche voller Selbstvertrauen. (…)

Doch in der Wolgaregion wurden die Nächte plötzlich kälter, ja, es kam zu Bodenfrösten am Morgen (…). Der russische Winter würde sehr bald wieder hereinbrechen.

Nur wenige jedoch ahnten etwas von dem schwierigsten Hindernis, das sich der Sechsten Armee entgegenstellen sollte. Richthofens massiven Bombenangriffen war es nicht nur nicht gelungen, die Kampfmoral des Feindes zu brechen, sondern die Zerstörungswut der Deutschen hatte die Stadt auch in ein für die Rote Armee ideales Verteidigungsterrain verwandelt, was diese zu nutzen imstande sein würde.“ (S. 148)

(Anfang September: hatte die 16. Panzerdivision „den Auftrag, zusammen mit der 60. und 3. ID (mot.) den nördlichen Flügel zwischen Don und Wolga gegen die 4. Panzerarmee, 1. Gardearmee, 24. und 66. Armee der Sowjetunion zu sichern. In dem ihr zugewiesenen Abschnitt in der Kotluban-Region bildeten die Panzersoldaten Igelstellungen am östlichen Ende des Korridors. Am 3. September 1942 kam es zu schweren wiederholten Angriffen der Sowjetarmee, die jedoch trotz einiger Durchbrüche insgesamt abgewehrt werden konnten. Dadurch wurden sie in anhaltende Kämpfe gebunden und konnten keine Verstärkungen für die Schlacht um die Stalingrader Vororte bereitstellen. Am 5. September 1942 begann eine erneute Großoffensive durch Malinowskis 66. Armee mit starker Artillerieunterstützung, T-34 und neuer US-amerikanischer M-3-Panzern, welche über das Leih- und Pachtgesetz verstärkt in die Sowjetunion geliefert wurden. (…)

Nach schweren Kämpfen im September war Anfang Oktober die Iststärke der 16.Panzer-division (ähnlich wie bei der 14. Panzer-Division und 24. Panzer-Division auch) auf weit unter 1000 Soldaten gesunken, teilweise waren nur noch 20 bis 50 Kampfpanzer im Einsatz. Wikipedia-Eintrag zur 16.)

Schon Mitte November lagen die Leichen von über 4.000 Soldaten der Division auf dem Divisionsfriedhof an der Bahnstrecke Nord-Stalingrad – Frolow. 128 Divisionsangehörige kehrten nach Jahren der Gefangenschaft wieder in die Heimat zurück. Der Verband umfasste ursprünglich über 10.000 Männer. (Werthen S. 119)

Schlussbemerkung

Mit dem Tod der letzten Divisionsangehörigen scheint die Erinnerung an diese Division und ihre furchtbare wie mahnende Kriegsgeschichte zu verwehen. Erinnern an Soldaten, die – gezwungen oder überzeugt, oft „ganz normale Männer“  –  Mitmarschierer und Mittäter waren und Opfer wurden, ist zwiespältig, fällt heutzutage schwer.[9] Mit diesen und früheren Materialien will ich einige Anstöße zur Erinnerung geben. In Stalingrad fiel der deutsche Angriffs- und Vernichtungskrieg auf seine militärischen Wegbereiter, Mitmarschierer, Macher, vor allem auf die einfacheren Soldaten zurück. Es war eine in jeder Hinsicht verlorene Armee, sich auflösend im Strudel des Untergangs. In ihrem absoluten, blinden Gehorsam und ihrer Realitätsverleugnung wurden Generale, eine ganze militärische Führung zum Henker der eigenen Soldaten.

Weitere Beiträge zur Thematik

– Zwischen Geschichtsvergessenheit und historischer Verantwortung – Deutscher Vernichtungskrieg in der Ukraine 1941-43 und russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine jetzt, 11.04.2022,

https://domainhafen.org/2022/04/10/zwischen-geschichtsvergessenheit-und-historischer-verantwortung-der-deutsche-vernichtungskrieg-in-der-ukraine-1941-43/

– 22. Juni 1941: Vor 80 Jahren Beginn des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion (I) – bis heute viel mehr verdrängt als erinnert, 21.06.2021 (mit Bericht von erster Erinnerungsveranstaltung 1991 in Münster http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1700

Nie wieder – nie mehr allein!: Perspektiven auf den Vernichtungskrieg. Interview zum 80. Jahrestag des Einmarsches der Wehrmacht in die Sowjetunion, Zeitschrift „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ Juni 2021,  https://www.gegen-vergessen.de/fileadmin/user_upload/Gegen_Vergessen/Mitgliederzeitschrift/GVFD-Magazin_108-2021_web.pdf

Rundgang Kriegerdenkmäler an der Promenade in Münster – 78. Jahrestag des Angriffs der Münsteraner 16. Panzerdivision auf Stalingrad, 23.08.2020, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1653

– Anstöße zur Erinnerung und zum Nachdenken: Münster, Riga, Stalingrad, München, Festvortrag beim 3. Forum Sanitätsakademie „Freiheit, Gewissen, Zivilcourage“ im Audimax „Hans Scholl“ der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München, 05. Juli 2018, www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1535

Menschen retten – Menschenschlachthaus: Gegensätzliche Militärwelten. Planspiel ressortgemeinsames Handeln CERASIA an der Führungsakademie der Bundeswehr (in den Tagen, als vor 75 Jahren die Schlacht von Stalingrad endete), 04.02.2018, www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1516

Einzigartige Stalingrad-Sonderausstellung im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden, Februar 2013, Bericht, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1188

– Stalingrad vor 70 Jahren: 16. Panzerdivision aus Münster – Speerspitze im Vernichtungskrieg, vernichtet in Stalingrad, zusammengestellt im Januar 2013, www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1187 ; in Westfälische Nachrichten: „Apokalypse Stalingrad – Am 2. Februar 1943 ging die Schlacht zu Ende, in der viele, zuvor in Münster stationierte Soldaten starben“ von Karin Völker, www.wn.de/Muenster/70.-Jahrestag-der-Apokalypse-In-der-Schlacht-um-Stalingrad-starben-viele-zuvor-in-Muenster-stationierte-Soldaten

Reisebericht: Begegnungsfahrt der Friedens-AG von GAL/GRÜNEN Münster nach Minsk/Belarus, August 1988 (19 S.), www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1540 und DokumentationKriegsspuren“ über Spuren des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion und anderer Kriege gegen Russland in Münster, zusammengestellt anlässlich dieser Reise, www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1539

 

[1] Antony Beevor, Stalingrad, 4. Auflage München 2020/22

[2]  W. Nachtwei. Zwei Kriege in der Ukraine – vor 80 Jahren und heute zwischen Charkiw und Donesk, 22.06.2022, www.domainhafen.org ; ders., Zwischen Geschichtsvergessenheit und historischer Verantwortung – Deutscher Vernichtungskrieg in der Ukraine 1941-43 und russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine jetzt, 11.04.2022, https://domainhafen.org/2022/04/10/zwischen-geschichtsvergessenheit-und-historischer-verantwortung-der-deutsche-vernichtungskrieg-in-der-ukraine-1941-43/

[3] Stadtarchiv Münster, „Stalingraddenkmal“, https://www.stadt-muenster.de/kriegerdenkmale/zum-zweiten-weltkrieg/stalingrad-denkmal

[4] Hans Machemer & Christian Hardinghaus (Hrsg.), Wofür es lohnte das Leben zu wagen. Briefe, Fotos und Dokumente eines Truppenarztes von der Ostfront 1941/42, Berlin München Zürich Wien 2018, S. 269 (Helmut Machemer war Facharzt für Augenheilkunde in Stadtlohn/Münsterland. Er meldete sich freiwillig zur Wehrmacht, um durch Frontbewährung und Tapferkeitsauszeichnungen die „Arisierung“ seiner Familie zu erreichen. Seine Frau Erna war „Halbjüdin“.

[5] Machemer S. 272

[6] Wolfgang Werthen, Geschichte der 16. Panzer-Division 1939-1945, hrsg. vom Kameradschaftsbund 16. Panzer- und Infanterie-Division, Bad Nauheim/Podzun 1958

[7] Gorch Pieken/Matthias Rogg/Sven Wehner (Hrsg.): Stalingrad – eine Ausstellung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden, Begleitband und Katalog, Sandstein Verlag Dresden 2012

[8] Zitiert bei David M. Glantz: Armageddon in Stalingrad: September–November 1942 (The Stalingrad Trilogy, Volume 2). University of Kansas Press, Lawrence 2009, S. 3

[9] Sabeth Goldemann, Ich hatt` einen Kameraden – Die Kameradschaft der 16. Panzer- und Infanteriedivision, Studienarbeit 2017,   https://d-nb.info/1150779020/34

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