Statt Gerüchten, Mythenbildung und Generalverdächtigungen Teilöffnung zur Gesellschaft:
Eröffnung des Besucherzentrums KSK in Calw – Teilöffnung zur Gesellschaft nach vielen Jahren der Totalgeheimhaltung
Winfried Nachtwei, MdB a.D. (09/2022)
Am 20. September 2022 wurde das Besucherzentrum Kommando.Spezial.Kräfte. an der Graf-Zeppelin-Kaserne in Calw in Anwesenheit von Generalinspekteur Eberhard Zorn und der Wehrbeauftragten Dr. Eva Högl eröffnet. Vom Beirat Innere Führung nahmen vier Mitglieder der AG „Einsatzrückkehrer“ an der Veranstaltung teil.
Den Auftakt bildeten im Trio-Gebäude ein Empfang im sogenannten „Grünen Salon“ (mit dem großen Gefechtsbild von Stuart Brown zu der Operation Mah Taabi in Baghlan im Oktober 2012) und Reden vor rund 100 geladenen Gästen im Speisesaal.
KSK-Kommandeur Brigadegeneral Ansgar Meyer begrüßt am heutigen 26. Jahrestag der KSK-Gründung („Unit Day“) neben der Wehrbeauftragten und dem GI das neue Mitglied des Verteidigungsausschusses Niklas Wagner, die Präsidentin des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr, Ulrike Hauröder-Strüning, den stellvertretenden Inspekteur des Heeres Generalleutnant Johann Langenegger, den 36-jährigen Oberbürgermeister Florian Kling (vormals als Hauptmann Vorsitzender des „Darmstädter Signals“) und viele andere. Das Besucherzentrum biete Gelegenheiten für den gesellschaftlichen Diskurs. Das Besucherzentrum schaffe so viel Transparenz wie möglich und zulässig. Er lobt die Zusammenarbeit der KSK-Projektgruppe mit dem Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden und dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr als hervorragend. Deren verantwortliche Personen sind anwesend. Die Baumaßnahmen seien vorbildlich zügig gelaufen.
General Zorn: Das Besucherzentrum sei Schlussstein eines längeren Prozesses. Das KSK sei einzigartig in der Bundeswehr. Da tue ein Stück Transparenz in alle Richtungen gut – bei aller notwendigen Geheimhaltung. Neben den Schutz deutscher Staatsbürger als erste Aufgabe kämen jetzt Beiträge zur Landes- und Bündnisverteidigung hinzu. Auch KSK-Soldaten seien Staatsbürger in Uniform. Die Reform des Verbandes sei nun zum Abschluss gekommen. Alle 60 Maßnahmen seien umgesetzt. „Mein Vertrauen haben Sie voll!“
Die Wehrbeauftragte betont, dass sich jetzt das KSK darstellen könne, dass jetzt mit dem KSK gesprochen werden könne – und nicht nur über das KSK. Damit öffne sich der Verband Richtung Gesellschaft. Der „Flur der Geschichte“ im Trio-Gebäude (s.u.) bleibe. Die „vor gut zwei Jahren nach den Extremismusfällen begonnene Reform des KSK sei ein Erfolg. Das Reformpaket habe gewirkt und sei auch gut und konsequent umgesetzt worden. Einige Punkte wie die politische Bildung blieben Daueraufgaben. ´Die Aufarbeitung beim KSK liefert ausreichend Anlass, jetzt die Phase des Dauerzweifelns abzuschließen, nach vorne zu schauen und dem Verband in puncto Verfassungstreue, Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft zu vertrauen` so die Wehrbeauftragte. Unbefriedigend sei, dass die juristischen Verfahren noch immer nicht abgeschlossen seien und zu lange dauern würden.“ (https://www.bundestag.de/parlament/wehrbeauftragter )
Oberst a.D. D. als Leiter der KSK-Projektgruppe informiert zu der besonders nachhaltigen Bauweise des Besucherzentrums, zur Struktur der Ausstellung und zur Homepage. Die Dauerausstellung könne ohne Voranmeldung besucht werden. Zusätzlich sollen hier auch Vorträge zur Sicherheitspolitik gehalten werden. Das Besucherzentrum solle ein Begegnungsort für Informationsaustausch und kritische Diskussionen werden. (https://ksk-besucherzentrum.de/ )
Das Besucherzentrum vor der Außenwache der Graf-Zeppelin-Kaserne, gegenüber das Turmgebäude für Fallschirme und Klettern, befindet sich in einem modernen, schlichten hölzernen Flachbau.
Die Ausstellung gliedert sich in die Abschnitte
– Kommando: die Aufgaben-
– Spezial: Einsätze
– Kräfte: die Menschen
Als Stationen identifiziere ich
(1) Spezialkräfte in Deutschaland (auch der Marine, Luftwaffe, GSG 9, SEK, ZUZ des Zoll)
(2) Staatsbürger in Uniform (also Soldat im Rechtsstaat und für den Rechtsstaat) – der Mensch zählt – Grundwerte – vom Parlament beauftragt und kontrolliert
(3) Schatten der Vergangenheit: Medienberichte über die Häufung rechtsextremer (Verdachts-)Fälle beim KSK ab 2017 – und was daraus wurde, dazu getan wurde (eine sehr notwendige, zugleich auch mutige Station).
(4) Weltweit geschätzt und vernetzt: Kooperationen mit Spezialkräften in 13 Ländern
(5) Spezialaufgaben des KSK
(6) Unsere Geschichte – Aufstellung und Anfang
(7) Einzigartig ausgestattet – das KSK als Motor für Innovationen
(8) Ausgewählte Einsätze:
– Kilo 1 (1998 Bosnien-Herzegowina),
– Einsatz in Afghanistan – „Baufeld 54“ in Camp Marmal
– Operation Sicherung des angegriffenen deutschen Generalkonsulats in Mazar-i Sharif im Oktober 2016 (zwei Besuchern erzähle ich, dass ich zur selben Zeit beim deutschen Kontingent in Mazar war und vom Angriff telefonisch von meiner Nachfolgerin im Verteidigungsausschuss erfuhr: „Winni, alles in Ordnung?“)
– Operation „Mah Taabi“ in Baghlan 2012
– Evakuierungsoperation Kabul 2921 mit Luftaufnahme des Flughafensund Fotos aus dem Chaos
– Sechs Beispiele von KSK-Soldaten, die mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold bzw. für Tapferkeit ausgezeichnet wurden KSK-Soldaten mit der konkreten Begründung
– In einem Hubschrauberrumpf läuft ein Video zur Operation Mah Taabi: Beteiligte Kommandosoldaten berichten mit Sturmhaube von der Festnahme eines Terrordrahtziehers nach heftigem Schusswechsel (einen so persönlichen Bericht aus einem Gefecht hat es in einer öffentlichen Bw-Ausstellung bisher von einem Gefecht wohl kaum, wenn überhaupt gegeben)
(9) Einsatzfähig und mobil überall: Vom Gebirge bis zur Arktis.
(10) Einsatzfähigkeit braucht Fähigkeiten
(11) Struktur des KSK
(12) Der Weg ins KSK: Beweggründe, Auswahl; Hast Du`s drauf? Aufklärungssoldat KSK
(13) Sanitätseinsatz, Versorgung, Psychosoziales Netzwerk
(14) Verankert in der Region, Patenschaft mit der Stadt Calw seit Juli 2021
Bei der Geräteschau draußen werden mir verschiedene Breacher („Türöffner“) und Arktisausstattung vorgestellt.
Im Rahmen des Beirats Innere Führung besuchten wir das KSK zuletzt 2018 und im April 2022. Für mich ist es seit 2015 der achte Besuch. Von daher ergeben sich heute viele Gespräche am Rande, darunter mit Schöpfern der Ausstellung wie auch mit Beteiligten an der Evakuierungsoperation Kabul.
Nachbemerkung
Spezialkräfte, ihre Operationen und Personen, sind zu deren Schutz zwingend auf besondere Geheimhaltung angewiesen. Das ist unstrittig.
Seit vielen Jahren gab es aber auch kritische Stimmen, die die praktizierte Totalgeheim-haltung um das KSK für zu weitgehend und problematisch hielten. Als Obmann im Verteidigungsausschuss von 2002 bis 2009 und im Untersuchungsausschuss zum Fall Kurnaz 2008 machte ich die Erfahrung, dass die parlamentarische Kontrolle des KSK sehr unzureichend und zu sehr auf ein Grundvertrauen gegenüber der militärischen und politischen Führung angewiesen war. Die Totalgeheimhaltung um das KSK ließ Raum für Mythenbildung und Gerüchten – und bei Verstößen gegen soldatische Grundpflichten Generalverdächtigungen. In TV-Krimis setzte sich ein Zerrbild fest, wonach Afghanistan-Rückkehrer des KSK durchweg besonders geschädigt und gefährlich seien. Auch wenn KSK-Soldaten über eine besonders starke intrinsische Motivation verfügen, brauchen sie als Staatsbürger in Uniform, die keine Söldner sein wollen, auch Rückhalt in Politik und Gesellschaft. Und dieser Rückhalt kommt nicht ohne ein Mindestmaß an Informationen über die tatsächlichen Leistungen des KSK aus.
Nachdem jahrelang Forderungen nach mehr Transparenz verpufft waren, war die erste öffentliche Präsentation des KSK (zusammen mit den Spezialkräften von Marine und Luftwaffe) im Juni 2018 beim Tag der Bundeswehr am Militärhistorischen Museum in Dresden ein historischer Schritt, aber noch eine Eintagsfliege. (Auszüge meines Berichts im ANHANG)
Ein nächster Zwischenschritt war der „Flur der Geschichte“ des KSK, der im September 2019 im Trio-Gebäude als Regionalausstellung eröffnet wurde. Bei der Führung im Kontext des Neujahrsempfangs im Februar 2020 war auffällig, dass mehrfach zufällig vorbeikommende Kommandosoldaten von diesem und jenem Einsatz seit 1998 berichten konnten. Deutlich wurde dabei, dass wohl an keinem anderen Ort der Bundeswehr so viel kontinuierliche, ungeschminkte militärische Einsatzerfahrungen (mit nicht wenigen kritischen Bewertungen) anzutreffen sind wie in Calw.
Die Eröffnung des Besucherzentrums ist ein Highlight für die öffentliche Wahrnehmung des KSK. Der Spagat zwischen notwendiger Geheimhaltung und Transparenz ist gelungen, die Teilöffnung zur Gesellschaft ist eine wichtige Chance. Ob der innere Reformprozess des KSK geschafft ist, wie die Eingangsredner sagten, ist zu wünschen, kann ich aber nicht beurteilen. Bei anderer Gelegenheit hörte ich auch Mal die Einschätzung, dass man vielleicht in zwei Jahren sagen könne, ob der Verband über den Berg sei. ( https://www.bundeswehr.de/de/aktuelles/schwerpunkte/spezialkraefte-bundeswehr/ksk-reform )
Die innere Reform ist das eine. Das andere, weniger Beachtete ist, wieweit es der (sicherheits-)politischen Führung gelingt, seit etlichen Jahren gerade bei KSK-Soldaten verlorenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Nicht zuletzt die vielen neuen Abgeordneten in Verteidigungs- und Auswärtigem Ausschuss könnten dazu einiges beitragen.
Medienberichte
– SWR aktuell 20.09.2022
– Video Südwestrundfunk 1:10 Min.
– Schwarzwälder Bote 21.09.2022
ANHANG
Operation Kabul-Evakuierung: Leserbrief zum SZ–Interview „Retten, so viele wie möglich“ mit dem KSK-Offizier Tobias R. von Mike Szymanski, 29. Juli 2022 (leider nicht veröffentlicht)
„Das hat es noch nicht gegeben:
Ein führender Offizier des Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr darf erstmals offen und konkret über eine Operation des KSK berichten.
Die Evakuierungsoperation der Bundeswehr vor einem Jahr in Kabul, zu der 20 KSK-Soldaten mit Kommandooperationen außerhalb des Flughafengeländes beitrugen, war die größte Evakuierungsoperation aus einer explosiven Bedrohungslage in der Geschichte der Bundesrepublik.
Das Interview zeigt plastisch die Extremleistung der KSK-Soldaten in ihrem ersten Spezialgebiet, der Befreiung bedrohter deutscher Staatsbürger aus einem feindlichen Umfeld. Im chaotischen, gerade von den Taliban eingenommenen Kabul machten sie deutsche Bürger ausfindig, wo vor allem Frauen und Kinder keine Chance hatten, durch das lebensgefährliche Gedränge an die Schleusen zu kommen. Und dann eskortierten sie diese in der Dunkelheit und auf Schleichwegen in den geschützten Bereich des Flughafens. So wurden 100 deutsche Staatsbürger und circa 50 afghanische Angehörige rausgeholt, unbeschadet und ohne Einsatz tödlicher Gewalt.
Spezialkräfte bedürfen zum Schutz von Operationen und Personen besonderer Geheimhaltung. Das liegt auf der Hand. In der Vergangenheit unterlagen aber die Operationen des KSK einer Totalgeheimhaltung. Das begünstigte Mythenbildung, Misstrauen und Gerüchte. – und Generalverdächtigungen, als Verdachtsfälle mit rechtsextremem Hintergrund bekannt wurden.
Erst vor vier Jahren durfte das KSK erstmalig die Totalgeheimhaltung lüften und sich beim „Tag der Bundeswehr“ in Dresden der Öffentlichkeit präsentieren:
Berichtet wurde über die ersten Einsätze in Bosnien & Herzegowina, wo das KSK 1998 bis 2000 mehrere erfolgreiche Zugriffsoperationen gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher durchführte, die an den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien überstellt wurden. Und über erfolgreiche Zugriffsoperationen in Afghanistan in den Jahren 2009, 2010 und 2012, als mutmaßliche Terrordrahtzieher festgenommen wurden, Zum Beispiel im Oktober 2012 Mulla Abdul Rahman, der hinter der Entführung der zwei Tanklaster im September 2009 im Raum Kunduz und einem Hinterhalt im Distrikt Chahar Darreh 2010 gesteckt haben soll, aus dem sich das Karfreitagsgefecht mit drei deutschen Gefallenen entwickelte.
Als Mitglied des Verteidigungsausschusses bis 2009 und des Beirats Innere Führung seit 2010 bekam ich Einblicke in die enorm fordernde Hochwertausbildung im KSK. Das offene Interview zur Kabul-Operation veranschaulicht, wie sehr der Erfolg einer solchen Spezialoperation im staatlichen Schutzauftrag auf sorgfältigster Aufklärung, Überraschung, Entschlossenheit und Präzision beruht.
Für KSK-Soldaten, die zugleich Staatsbürger in Uniform und Verfassungspatrioten sein sollen und wollen, ist es ein regelrechter Durchbruch, dass ihre Einsatzfähigkeit und -leistungen jetzt sichtbar gemacht wurden und erkennbar gesellschaftlichen Rückhalt verdienen. Sie – wie auch die eingesetzten Fallschirmjäger, die letzten deutschen Diplomaten, Bundespolizisten, BND-Männer und der deutsche Geschäftsmann Klawitter – haben bewiesen, dass auf sie in höchster Not Verlass ist.
Winfried Nachtwei, ehem. MdB, Münster
Berichtsauszüge „Erste öffentliche Präsentation des Kommando Spezialkräfte am Tag der Bundeswehr im Juni 2018 beim Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden
(…) Besonders gut war der Ort mit dem MHMBw gewählt. Dieses steht so sehr für ungeschminkte, ehrliche und differenzierte Darstellung von deutscher Militärgeschichte, von Kriseneinsätzen, Krieg und Gewalt und kritische Auseinandersetzung damit wie kaum ein anderer Ort in Deutschland. (…)
In einem Großzelt vermittelten neun Stationen Einblicke in
– die Extremanforderungen des KSK, das Auswahlverfahren (über 23 Wochen gehendes Eignungsfeststellungsverfahren incl. längere Vorbereitungsprogramme), die zweijährige Basisausbildung zum Kommandosoldaten und die bis zu einjährige Spezialisierung; ein 10-kg-Koppel, ein 30-kg-Rucksack und ein 20-kg-Stamm liegen für Belastungsschnuppern bereit; im Flyer „Werde einer von uns!“ werden sieben Aufgaben des KSK genannt, darunter neben den o.g. auch Kampfeinsätze gegen Ziele mit hoher Bedeutung, dazu die Anforderungen an Kommandosoldaten, Bewerbungsvoraussetzungen etc.;
– Ausrüstung – Waffen und Optronik: ein breites Arsenal an Handwaffen (bis zu einem Mini-Revolver und verschiedenen Nachtsichtgeräten);
– Spezialkräfte der Luftwaffe: 4. Staffel des Hubschraubergeschwaders (HSG) 64 in Leipheim;
– Ausrüstung – ABC-Schutz;
– Ausrüstung – Retten und Befreien: breites Arsenal an Werkzeugen;
– Spezialisierung – Beispiel Sanitätsspezialzug KSK: Ausstattung des Notfallsanitäters;
– Einsatzgebiete: Beispiel Hochgebirge und Arktis;
– Ausrüstung – Fallschirmsysteme: Absprung bis aus 10.000 m Höhe, Freifall bis 2.000 m;
– Spezialkräfte Marine.
(…)
Eine 30-minütige „dynamische Vorführung“ fand am Vormittag und Nachmittag an der rechten Vorderfront des Museums statt (auf der linken Seite spaltet seit dem Umbau durch Daniel Libeskind ein gigantischer Metallkeil die klassizistische Fassade): Nach einführenden Worten des MHM-Direktors Oberstleutnant Dr. Armin Wagner und des KSK-Kommandeurs Brigadegeneral Alexander Sollfrank, der den Rettungsauftrag des KSK erläutert, beschreibt ein KSK-Offizier mit Sturmhaube und Sonnenbrille Lage und Auftrag:
Bürgerkriegsland, deutsche Staatsbürger in der Dt. Botschaft in immer größerer Gefahr, Geiselbefreiungsoperation (was in der Regel nicht bei Helligkeit und Publikum geschehe; in Details weiche die Vorführung von den taktischen Abläufen ab).
„Zugriff, Zugriff, Zugriff!“
Zwei Hubschrauber des Typs H145M der 4./HSG 64 (Neuanschaffungen) fliegen „die Botschaft“ an, ein Kommandotrupp seilt sich blitzschnell auf`s Dach ab, andere Kräfte befinden sich zur Absicherung im Raum.
Über die Außenwand seilt sich der Trupp auf Höhe des Stockwerks ab, wo sich die Geiseln befinden, dringt „schnell, aggressiv und kontrolliert in das Gebäude“ ein (Sprengung des Fensters) und kämpft es frei.
Kurz später rasen drei Einsatzahrzeuge (offen, leicht geschützt, schwer bewaffnet) mit drei Kommandotrupps vor, nehmen Geisel auf, starten, beantworten gegnerisches Feuer mit Maschinenwaffen.
Ergebnis: Deutsche Staatsbürger gerettet, keine Verwundete, keine Opfer unter der Zivilbevölkerung.
Betont wird, dass die Operation im Rahmen des Völkerrechts und vereinbarter Einsatzregeln (Rules of Engagement) gelaufen sei.
Der KSK-Kommandeur ergänzt, ein Teil der Soldaten stehe kurz vor Abschluss ihrer Ausbildung zum Kommandosoldaten. Nach zwei Wochen Übung gehe es jetzt noch in neun weitere Wochen. Das Personal sei handverlesen, die Ausrüstung hervorragend.
(Bei solchen Hostage Release Operations/HRO kommt es sonst darauf an, möglichst lange verschiedene Optionen offenzuhalten. Bei einer Geiselbefreiungsaktion hat das Leben von Geiseln absolut Vorrang. Das KSK war an etlichen HRO in verschiedenen Ländern beteiligt, hatte aber keinen solchen spektakulären Fall wie die GSG 9 mit Mogadischu.)
Im Auditorium des MHM bringt ein 20-minütiges Video Einblicke in die Einsatzgeschichte und drei Fähigkeitsbereiche (in Dauerschleife):
(a) Zugriffsoperation KILO 1 am 15.06.1998 in Foca, Bosnien & Herzegowina (zuvor hatten im Rahmen von SFOR die USA, GB, FR, NL und DEU vereinbart, international gesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher festzunehmen): Zielperson Milorad Krnojelac, ehemalige Kommandant eines bosnisch-serbischen Internierungslagers, beschuldigt der Tötung von 29 Gefangenen und 59 Folterungen. Die Operation verlief erfolgreich. Der Festgenommene wurde binnen 24 Stunden dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag überstellt. Es war der erste Einsatz der Spezialkräfte der Bundeswehr. Der Kommandeur des damaligen US Special Operations Command Europe: „Welcome to the club.“
Beteiligte (Ex-)KSK`ler berichten, dass man bis dahin keinerlei Erfahrungen mit solcher Art Operationen hatte, wie vorher nochmal das Vorgehen abgestimmt, Waffen und Material überprüft wurden, wie die Operation selbst dann schnell, planmäßig und ohne einen Schuss abgelaufen sei. Die Zielperson wurde verurteilt, dazu habe man einen Beitrag geleistet. Es habe sich gelohnt.
(b) Spezialaufklärung im Rahmen der Operation Enduring Freedom (OEF) 2002 in Afghanistan. Auftrag war die Aufklärung und Überwachung von Bewegungslinien und Fluchtwegen – eine komplett neue Einsatzform, ein echter Kampfeinsatz. Zunächst übernachtete man in Zweimannzelten, gefragt war Improvisieren.
Nach dem Einsatz sei man „erwachsen“ gewesen.
(c) Ausbildungsunterstützung/Partnering mit Gefecht bei ISAF: Bei Unterstützung einer Zugriffsoperation afghanischer Sicherheitskräfte im Raum Kunduz eröffneten Aufständische das Feuer, intensives Feuergefecht über fünf, sechs Stunden, nur wenige Minuten Feuerpause zwischendurch.
Am Ende habe es vier Tote auf Seiten des Gegners, vier Festgenommene, keine zivilen Opfer gegeben. Ein schwer verwundeter deutscher Soldat wurde von einem US-Rettungshub-schrauber ausgeflogen. Eigene Luftunterstützung verzichtete mit Rücksicht auf Zivilbe-völkerung auf Bordwaffeneinsatz. (Die Zeitzeugen des KSK treten alle mit Sturmhauben auf. Die Augen der Vermummten wirken umso eindringlicher.)
(d) Vor dem Auditorium eine Mini-Ausstellung mit Gegenständen aus der KSK-Geschichte: z.B. erste Uniform 1998-2000; mit der Verlegung nach Afghanistan ab Dezember 2001 wurde es notwendig, die eigene Ausrüstung durch Ausrüstungsgegenstände anderer Nationen zu ergänzen; gefragt war Improvisationsgeschick; Handkarte K 1 Bosnien zur Zugriffsoperation am 15.6.98. (…)
Öffentliche Podiumsdiskussion „Auftrag, Alltag und Herausforderungen deutscher Spezialkräfte“ mit KSK-Kommandeur Sollfrank, einem ehemaligen Truppenpsychologen des KSK, einem Historiker mit KSK-Erfahrung und mit mir, moderiert von MHM-Direktor Wagner. Im Auditorium rund 50 Interessierte, weitere vor der Leinwand vor dem MHM. (…)
– Zentral sei die Auswahl der Bewerber, bewährt habe sich das Verfahren. Man habe extrem leistungsstarke Persönlichkeiten, „wir sind Avantgarde, Speerspitze“. Eine sich ergänzende Vielfalt von Typen, die sich im Auftrag treffen. Besonders ausgeprägt sei die Kameradschaft der kleinen Kampfgemeinschaft des Kommandotrupps mit den Spezialisten für Waffen/ Taktik, Pionierwesen, Fernmelde/Informationstechnik und Sanität: „Keiner schafft`s allein!“ Neben der Höchstprofessionalität zeichne die Kommandosoldaten eine besondere Ernsthaftigkeit aus – „wie nirgendwo sonst in der Bundeswehr“. (…)
– Ein langjähriger Kenner des KSK betont, wie streng immer die rechtliche Seite von Einsätzen geprüft werde, dass sie immer auf dem Boden des Grundgesetzes und im Rahmen der Parlamentsbeschlüsse blieben. Bei der Bundeswehr gebe es keine „schwarzen Operationen“. (…)
– Zur Gründungszeit des KSK wurde in Deutschland um die „Wehrmachts-Ausstellung“ und ihre Widerlegung des Mythos von der „sauberen Wehrmacht“ gestritten. Das junge KSK lehnte sich vor allem an die Alliierten an, wurde Teil der SOF-Community. Die 1938 von der „Abwehr“ gegründeten „Brandenburger“ und ihre Art der unkonventionellen Kriegführung seien nicht traditionswürdig.
– Der besondere Charakter von Spezialkräften (präzise, begrenzte, schnelle Operationen potenziell weltweit mit geringem Mitteleinsatz und großer/strategischer Bedeutung, Vermeidung von Eskalation und Begleitschäden) ist – so meine Einschätzung – auch in der Politik wenig bewusst. Dauereinsätze wie jahrelang in Afghanistan vertragen sich damit eigentlich nicht. Die in Berlin vorherrschende Einordnung von Spezialkräften als alleraller-letztes Mittel übersieht die besonderen Fähigkeiten des KSK z.B. zur Spezialaufklärung in früheren Konflikt- und Einsatzphasen und hybriden Bedrohungslagen. (Verbündete wie Dänemark, Niederlande, Norwegen sind in ihrer Einsatzphilosophie weniger zurückhaltend.)