Menschenkette MS – OS am 24.02. – Friedenswünsche reichen nicht! Für Frieden durch Recht + Solidarität mit der terrorisierten Ukraine!

Zum Jahrestag des russischen Überfalls eine Friedens-Großdemo: Nichtsolidarität mit der Ukraine!?

Zur geplanten Menschenkette zwischen MS + OS am 24.2.2023 – bloße Friedenswünsche reichen nicht: Für Frieden durch Recht! Solidarität mit der überfallenen und terrorisierten Ukraine! Winni Nachtwei (Anfang Januar/27.01.2023)

Für den 24. Februar, den Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine, und im 375. Jahr des Westfälischen Friedens ist eine Menschenkette zwischen Münster und Osnabrück, den Städten des Westfälischen Friedens, geplant.( https://www.friedenskette23.de/ ) Veranstalter sind die Osnabrücker Friedensinitiative und die Friedensinitiative Münster, unterstützt von den beiden Friedensstädten.

Hierzu habe ich zu Jahresbeginn eine Stellungnahme an die Sprecher*innen von bündnisgrüner Partei und Fraktion sowie das Friedensbüro der Stadt Münster geschickt.  Nach Bekanntwerden des Aufrufs vor wenigen Tagen habe ich diese um Nachbemerkungen ergänzt. Am 21.01. erschien dazu in den Westfälischen Nachrichten (WN) das Interview „Nur Verhandlungen helfen“ mit Rixa Borns, Sprecherin des münsterischen Vorbereitungsteams der Menschenkette.

Meine Anmerkungen zum Vorhaben Menschenkette MS-OS am 24. Februar

(1) Das Anliegen, zum 1. Jahrestag des Beginns des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und des Bruchs mit der europäischen Friedensordnung sehr breit und unübersehbar zu demonstrieren, halte ich für sehr richtig und grundsätzlich unterstützenswert. Sehr angebracht wäre, dass bundesweit und europaweit an vielen Orten demonstriert würde – nicht nur wie am 24. August, dem Unabhängigkeitstag der Ukraine, als in Münster fast nur ukrainische Flüchtlinge demonstrierten.

(2) Wesentlich für die Glaubwürdigkeit, Überzeugungs- und Mobilisierungskraft einer Großkundgebung / -demonstration ist die Klarheit und Eindeutigkeit ihrer Botschaft. Ganz allgemein gegen Krieg und für Frieden zu sein und Friedenssehnsucht zu artikulieren, reicht nicht. Erst recht nicht nach einem Jahr eines Angriffskrieges, in dem die Angreifer systematisch die Zivilbevölkerung terrorisieren, ihre Lebensgrundlagen zerstören und sie in die Flucht zu treiben versuchen, alles in krasser Missachtung des humanitären Völkerrechts.

Ausgehend von der in der UNO-Charta fixierten Weltfriedensordnung müssen Recht und Unrecht klar benannt werden: Mit eindeutigen Forderungen an den Aggressor, mit glaubwürdiger, nicht nur verbaler Solidarität gegenüber den Überfallenen. Die zentrale Forderung muss sein: FRIEDEN DURCH RECHT & SEINE DUCHSETZUNG. Wiederherstellung der terrtorialen Unversehrtheit der Ukraine! Das schließt Forderungen nach einer verlässlichen und stärkeren Überlebenshilfe (humanitär, zivil, militärisch) mit den Überfallenen ein. Forderungen, die de facto auf eine Anerkennung der russischen Staatsverbrechen hinauslaufen, wären damit nicht vereinbar.

(3) Der größte Teil der traditionellen organisierten Friedensbewegung verurteilt seit Februar wohl den russischen Angriffskrieg, fokussierte seinen Protest aber vor allem auf die angebliche Mitverantwortung der NATO an dem Krieg und das „Sondervermögen Bundeswehr“. Zur Solidarität mit den überfallenen Menschen in der Ukraine wird in der Regel kein Wort verloren.

Der Aufruf „Stoppt das Töten in der Ukraine – Aufrüstung ist nicht die Lösung“ zum dezentralen Aktionstag der Friedensbewegung am 19. November forderte einen sofortigen Waffenstillstand, den Rückzug des russischen Militärs aus der Ukraine und Friedensverhandlungen. In über 30 Städten fanden überwiegend Mahnwachen statt. Mit Rücksicht auf eine große Umweltschutzorganisation verzichtete man auf eine Aussage zu Waffenlieferungen an die Ukraine, die von Gruppen der Friedensbewegung einhellig abgelehnt werden. Der Ukraine Überlebenshilfe für ihre Selbstverteidigung zu verweigern, bedeutet im Klartext, die Überfallenen den Angreifern auszuliefern, Partei für den Aggressor zu ergreifen – und das als Parteinahme für Frieden auszugeben. Im vom Netzwerk Friedenskooperative herausgegebenen „Friedensforum“ 1/2023 wird angekündigt, dass man für den 24. Februar einen Aktionstag vorbereite. (Aufruf + Infos unter https://www.friedenskooperative.de/aufruf-stoppt-das-toeten ; der Aufruf wendet sich in einem Atemzug „gegen den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und gegen das Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung“) In derselben Ausgabe heißt es aber auch zu den letzten Aktionstagen de Friedensbewegung: „Die Friedensbewegten richteten ihren Widerstand aktuell vordringlich gegen den 100 Milliarden Sonderfonds für die Bundeswehr, die weitere Auf- und Hochrüstung sowie gegen die Beteiligung Deutschlands an der Nuklearstrategie der NATO.“ S. 7)

Gespräche mit allen, die den russischen Angriffskrieg verurteilen, sind notwendig.

(4) An der Menschenkette MS-OS vom 29. März 2003 gegen den Irakkrieg nahmen um 35.000 Menschen teil. Solche Massenmobilisierung bekommt man nicht einfach durch Beschluss relevanter Trägerorganisationen und gute Organisation hin. Ausschlaggebend ist die politische Großwetterlage und Konstellation:

– Die Menschenkette von 2003 fand neun Tage nach Beginn des Angriffs von USA, Großbritannien und einer „Koalition der Willigen“ gegen den Irak statt und war Teil einer bundesweiten und globalen Protestwelle, die sich in den Wochen zuvor aufgebaut hatte. Am 15. Februar hatten rund neun Millionen Menschen weltweit gegen den drohenden Irakkrieg protestiert, in Berlin allein 500.000. Ende März war die Empörung über den Angriff und die Angst vor seinen Folgen noch frisch. Am 29. März demonstrierten in Berlin 50.000 Menschen.

– In der Demonstrationsgeschichte der (west-)deutschen Friedensbewegung fällt auf, dass die Beteiligung der USA an – vor allem völkerrechtswidrigen – Kriegen immer ein besonderer Mobilisierungstreiber war. Zu den Kriegen auf dem Balkan, zur dreijährigen Belagerung von Sarajevo (1992-95), zu den Völkermorden in Ruanda (1994) und Srebrenica, (1995), zu den Tschetschenienkriegen (1994-96, 1999-2009), zur Verfolgung der Yesiden im Irak durch den IS (2014) gingen in der Regel nur Flüchtlinge und Exilangehörige auf die Straße, Allein humanitäre Extremlagen, Verfolgungen und Solidarität mit den Opfern von Krieg und Völkermord mobilisierten noch keine Massen.

(5) Insofern wäre das Großprojekt Menschenkette mit besonderen Herausforderungen konfrontiert:

– Längst gibt es eine gewisse Gewöhnung an den Ukrainekrieg und sind eigene Belastungen (Strom- und Gaspreise, Inflation) in den Vordergrund getreten.

– Friedens- und sicherheitspolitische Gewissheiten und Denkmuster sind erschüttert.

– Die Adressaten des Protestes sind sehr unterschiedlich erreichbar, am wenigsten wohl das Putinregime.

Aber das Großprojekt Menschenkette beinhaltet auch Chancen:

– Belebung und Bekräftigung von demokratischer Solidarität in Europa, wo endlich auch die Kollektiverfahrungen der östlichen Nachbarn ihren Platz finden sollte. Bei der Demo und Kundgebung zum ukrainischen Unabhängigkeitstag in Münster im August war auffällig, wie lebhaft, kämpferisch und zugleich freundlich die Demo der vielen hundert ukrainischen Frauen und Kinder war.

(6) Deshalb wird von entscheidender Bedeutung sein, was Ukrainerinnen und Ukrainer in Münster von dem Projekt Menschenkette halten: Ob es in ihren Augen ein wichtiges Zeichen der Solidarität sein kann – oder eine bloße Symbol- und Alibiaktion, während Zivilbevölkerung, Verwandte in der Heimat durch Beschuss der kritischen Infrastruktur indirekt erwürgt werden, während vom Westen nicht die Waffen geliefert werden, die zum Überleben notwendig sind.

Nachbemerkung angesichts des vor wenigen Tagen veröffentlichten Aufrufs

Der Aufruf nennt die fundamentalen Prinzipien einer internationalen Friedensordnung – Völkerrecht und territoriale Souveränität – und artikuliert richtige Friedenswünsche ganz allgemein.

Angesichts eines seit einem Jahr in Europa tobenden Angriffskrieges, der auf die Vernichtung ukrainischer Staatlichkeit und Identität zielt und systematisch die Lebensgrundlagen der Zivilbevölkerung bombardiert, ist das aber unpolitisch und völlig unzureichend.

Außer bei der Erwähnung des 24. Februar als Jahrestag des Überfalls Russlands auf die Ukraine verwendet der Aufruf kein weiteres Wort auf den Ukrainekrieg:

Weltweite Niederlegung der Kriegswaffen – unterschiedslos? Zuerst auf Seiten der Angreifer oder derjenigen, die ihr Völkerrecht der Selbstverteidigung wahrnehmen?

Kein Wort der Solidarität mit den überfallenen und terrorisierten Menschen in der Ukraine!n Damit brechen die aufrufenden Friedensgruppen mit eine linken Tradition, in der „Internationale Solidarität“ immer wieder eine Schlüsselforderung war. Wie passt das zur Solidaritätspartnerschaft Münster – Winnyzja?

Historische Verantwortung: Seit Monaten recherchiere und veröffentliche ich zum aktuellen Krieg in der Ukraine – und zum deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion auf dem Boden der Ukraine 1941/42. Viele Orte, an denen damals deutsche Truppen wüteten und vernichteten, werden heute wieder bombardiert. Damals voll dabei war die 16. Panzer-Division aus Münster (vgl. „Stalingrad vor 80 Jahren nach 14 Monaten Krieg in der Ukraine – Tat- und Opferspuren der 16. Panzer-Division aus Münster, Speerspitze im Vernichtungskrieg, vernichtet in Stalingrad“ auf www.domainhafen.org ) Die Wehrmachtssoldaten aus dem Münsterland töteten zahllose Menschen in der Ukraine und in Russland. Und dann heute in dem Aufruf zu einer Großdemonstration unter „Peace Now!“ zwischen den Friedensstädten Münster und Osnabrück kein Wort der Solidarität mit den seit fast einem Jahr in Europa Überfallenen und Terrorisierten? Unsäglich.

Bei der Menschenkette 2003 gegen den Irakkrieg war ich direkt am Friedenssaal dabei.

Unter allein diesem Aufruf die Menschenkette zu unterstützen, würde ich für grundfalsch halten. Es wäre ein Dementi der Solidaritätspartnerschaft mit Winnyzja. Eine mögliche und meiner Meinung nach sinnvolle Option wäre, mit einem eigenständigen Aufruf (möglichst der meisten Ratsparteien wie zum 25. Februar 2022) die Menschenkette im Sinne von „Frieden in der Ukraine durch Recht und Solidarität“ zu politisieren und zu unterstützen.

Winni Nachtwei (Mitglied der BAG Frieden & Internationales von Bündnis 90/Die Grünen, des Beirats Zivile Krisenprävention und Friedensförderung der Bundesregierung, des Vorstands von „Gegen Vergessen – Für Demokratie“)

Der Aufruf zur Menschenkette

„Peace Now – von Friedenssaal zu Friedenssaal

Frieden – Gerechtigkeit – Klimaschutz

2023 gedenken Münster und Osnabrück dem Vertragsabschluss zum Westfälischen Frieden vor 375 Jahren – der Geburtsstunde des Völkerrechts.

Am 24.02.2023, dem Jahrestag des Überfalls Russlands auf die Ukraine, wollen wir mit einer Friedenskette beide Städte verbinden. Die Menschenkette ist Symbol und Denkanstoß für die Forderung nach Friedensverträgen unter Wahrung der territorialen Souveränität bei allen kriegerischen Auseinandersetzungen auf dieser Welt.

Wir rufen die Menschen auf, in einer Friedenskette zwischen Münster und Osnabrück ein gemeinsames Zeichen zu setzen für den Wunsch

  • auf die weltweite Niederlegung der Kriegswaffen,
  • Verhandlungen mit dem Ziel dauerhaft friedlichem, demokratischem Zusammenlebens,
  • weltweite Abrüstung, insbesondere die Abschaffung der Atomwaffen unter Aufsicht der Vereinten Nationen,

die Konzentration der Ressourcen auf den Schutz von Klima und Umwelt sowie den Einsatz für das Recht aller

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