1992 gründete sie mit 12 Mitstreiterinnen den Verein, dessen Vorsitzende sie 30 Jahre lang war.
Verlässlich für Mädchen und Frauen in Afghanistan – Nachruf auf Nadia Nashir Karim (26.04.2023) (Bilder auf www.facebook.com/winfried.nachtwei )
Nadia Nashir Karim, die Gründerin und ehrenamtliche Vorsitzende des Afghanischen Frauenvereins e.V. (AFV) ist am 20. April 2023 gestorben.
Geboren in Kabul, aufgewachsen in Kunduz lebte sie seit 1975 in Deutschland. 1992 gründete Nadia Nashir Karim in Bonn mit zwölf Mitstreiterinnen den AFV, der ihr Lebenswerk wurde und hunderttausenden Mädchen und Frauen in Afghanistan Bildung, Ausbildung, Gesundheit und die Chance auf ein Leben in Würde ermöglichte. Eine erste Mädchenschule des AFV entstand heimlich in der dunkelsten Zeit des Talibanregimes. Ihr Name „Roschani – Licht“. Lichter im Dunkeln zu ermöglichen, war offenbar ihr Lebensmotto und die Wirkung ihres Lebenswerkes.
Der Afghanische Frauenverein ist ein Gemeinschaftswerk, getragen vom ausdauernden ehrenamtlichen Engagement, von Mitgliedern, von über 1.000 Förderern und mehr als 150.000 Unterstützenden europaweit. Der AFV ermöglichte in ländlichen Gebieten der Provinzen Kabul, Kunduz und Ghazni die Arbeit von fünf Schulen, sieben Mutter-Kind-Kliniken und zwei Lehrschneidereien mit über 200 lokalen Mitarbeiterinnen. Jährlich leistet der Verein Winter- und Überlebenshilfe für mehr als 150.000 Menschen. Mit ihrer herzlichen Wärme und Zugewandtheit, ihrem unermüdlichen Engagement, ihrer Bescheidenheit, ihrer Professionalität, ihrem Optimismus trotz alledem, ihrem Humor war Nadia offenbar die Seele des Vereins.
Ich hatte das Glück, Nadia vor etlichen Jahren im Team der Villigster Afghanistan-Tagung kennenzulernen und mit ihr zusammenarbeiten zu dürfen – mit Ernst-Albrecht von Renesse, Uwe Trittmann, Belal El-Mogaddedi und Yama Waziri. In Villigst kommen seit 1984 alljährlich so viele Menschen mit Afghanistan-Erfahrungen, -Wurzeln, -Verbundenheit und -Kompetenz zusammen wie wohl an keinem anderen Ort in Deutschland. Bei aller Notwendigkeit, sich bei solchen Gelegenheiten über die „große Politik“ in und zu Afghanistan auszutauschen, war für Nadia immer klar, dass die Menschen in Afghanistan, die Hilfe zur Selbsthilfe für die Mädchen und Frauen in Afghanistan an erster Stelle stehen mussten.
Der bedingungslose Abbruch des internationalen Afghanistaneinsatzes im Jahr 2021 war eine Aufkündigung internationaler Verlässlichkeit gegenüber Verbündeten, Partnern und Hilfsbedürftigen und mündete in der größten humanitären Katastrophe weltweit. Menschen wie Nadia Nashir Karim waren und blieben am Boden starke Leuchttürme von Verlässlichkeit, nahe bei den Menschen – Beweise, dass wirksame Hilfe zur Selbsthilfe auch in düstersten Zeiten möglich ist. Sie sind Mutmacher und Auftrag.
Persönliche Nachbemerkung
Als meine Frau Angela, meine beste Kameradin, vor zwei Jahren plötzlich im Zusammenhang mit Corona starb, bat ich um Spenden für den Afghanischen Frauenverein. Nadia schrieb mir, dass mit den Spenden mehrere Trinkwasserbrunnen gebaut werden konnten. So konnte Angela, die frühere Kinderkrankenschwester in Münster, Somalia und Uganda, anders weiterhelfen – afghanischen Frauen, die unermüdlich an Hoffnungen von unten arbeiten.
https://www.afghanischer-frauenverein.de/
Winfried Nachtwei, Mitglied im Beirat „Zivile Krisenprävention und Friedensförderung“ der Bundesregierung und in der Enquete-Kommission Afghanistan des Bundestages, MdB 1994-2009 (Der Nachruf erscheint im Verbandsmagazin des Deutschen Bundeswehrverbandes in etwas kürzerer Fassung.)