Freiheitskampf + Völkermord in NAMIBIA vor fast 120 Jahren – Krieger-Denk-mal als Stein des Anstosses zur Erinnerung

Vor 47 Jahren mein NAMIBIA-Buch, jetzt  Info-Stele am Traindenkmal in Münster

Freiheitskampf und Völkermord in „Deutsch-Südwestafrika“, dem heutigen Namibia vor fast 120 Jahren – Krieger-Denk-mal in Münster jetzt als Stein des Anstoßes zur Erinnerung, Winfried Nachtwei (19.05.2023) (Fotos auf www.facebook.com/winfried.nachtwei )

Seit 1925 erinnert an der Promenade in Münster ein Kriegerdenkmal an 855 im Ersten Weltkrieg gefallene Soldaten der Versorgungseinheit Trainabteilung Nr. 7 aus Münster („für König und Vaterland starben“). Bronzeplatten vor und hinter dem Denkmal erinnern an einen Soldaten der Einheit, der bei der Niederschlagung des Boxeraufstandes 1901 in China starb, und zwei Soldaten der Einheit, die 1905/06 in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika bei der Niederschlagung von Aufständen der Hereros und Namas um`s Leben kamen („starb den Heldentod“).

Ende 1982 begann der Arbeitskreis Afrika (AKAFRIK) mit Protesten gegen das Traindenk-mal, das den völkermörderischen Kolonialkrieg verschweigt und den Tod daran beteiligter Soldaten als „Heldentod“ verklärt. Ein Bürger- und Ratsantrag der GAL zur Aufstellung einer Mahntafel wurde im Rat der Stadt abgelehnt. Nach einem Antrag der SPD-Fraktion in der BV Münster-Mitte wurde in Nähe des Traindenkmals eine ergänzende Gedenktafel angebracht.

Seit dem 15. Mai 2023 informiert eine Stele über den Kontext Denkmals und das mehr als hundertjährige Beschweigen eines Völkermordes, dem schätzungsweise bis zu 100.000 Menschen zum Opfer fielen und der als der erste im 20. Jahrhundert gilt. Selbstkritisch wird auch über die zähe Auseinandersetzung um eine ehrliche Erinnerung informiert. In einer würdigen Veranstaltung wurde die Info-Stele jetzt von Bürgermeisterin Maria Winkel und Ruprecht Polenz enthüllt. Beide hatten vorher im Friedenssaal des Historischen Rathauses gesprochen, Ex-Kollege Polenz als deutscher Verhandlungsführer zu dem Versöhnungs-abkommen mit der namibischen Regierung (nach sechs Jahren 2021 vereinbart). Mit ihrer Lesung aus dem Monolog „Pisten“ von Penda Diouf bringt die Schauspielerin Samia Dauenhauer die Grausamkeiten der deutschen Kolonialgewalt, aber auch den Widerstandswillen der Herero und Nama aufwühlend nahe. ( https://www.ardaudiothek.de/episode/ard-hoerspieltage-hoerspiele-im-wettbewerb/penda-diouf-pisten-eine-fahrt-ins-herz-der-erinnerung-und-eine-bewegende-hommage-auf-die-opfer-des-voelkermords-in-namibia/swr2/12049291/

WAS GESCHAH DAMALS IN DEUTSCH-SÜDWEST?

1974, vor inzwischen 49 Jahren, schrieb ich meine Geschichts-Examensarbeit an der Uni Münster über „Kapitalistische Expansion und nationaler Widerstand in Namibia – vom tribalistischen zum antiimperialistischen Widerstand“. Daraus entstand 1976 das Buch „Namibia – von der antikolonialen Revolte zum nationalen Befreiungskampf“. Es war eines der ersten zu dieser Thematik in Westdeutschland. Während meiner Lehrertätigkeit in Dülmen bis 1994 hatte die Kolonialgeschichte „Deutsch-Südwest“ in meinem Geschichts-unterricht und in Abiturprüfungen immer einen festen Platz.

Im Folgenden Buchauszüge zur kolonialen Eroberung, zu den Anfängen des primären Widerstandes, den Freiheitskriegen der Herero und Nama und dem deutschen Völkermord sowie den unmittelbaren Folgen. (Dies ist ein Zeitdokument. Ich habe nicht überprüft, welche Aussagen vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Forschungen seitdem korrigiert werden müssen.)

(Vgl. meinen Bericht von der nationalen Gedenkfeier zum 100. Jahrestag der Schlacht am Waterberg/Ohamakari in Okakarara am 14. August 2004. Als einziger Abgeordneter begleitete ich dort die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul. Als erste Vertreterin einer Bundesregierung nannte sie den Völkermord beim Namen. http://nachtwei.de/downloads/gedenken_herero.pdf )

KAPITEL 4

  1. Namibia unter der Herrschaft des deutschen Imperialismus
  2. l. Vorkoloniale Infiltration und Zersetzung

4.2.    Die Kolonialokkupation

4.2.1. Der erste Anlauf: „Schattenhafte Schutzherrschaft“

4.2.2. Die militärische Eroberung

4.2.3. Die ökonomische Durchdringung

4.2.4. Anfänge des primären Widerstandes

4.2.5. Kolonialismus und Ovambos

4.3.    Die Freiheitskriege 1904 – 1907

4.3.1. Der Hererokrieg

4.3.2. Die Namakriege

4.3.3. Die unmittelbaren Folgen der Freiheitskriege

4.2. Die Kolonialokkupation

4.2.1. Der erste Anlauf: „Schattenhafte Schutzherrschaft“

Die mit betrügerischen Verträgen und mit Hilfe der Mission erstandenen Besitzungen des Bremer Kaufmanns A. Lüderitz wurden am 24. April 1884 unter deutschen „Schutz“ gestellt. Doch die erhofften Funde von Edelmetallen und Edelsteinen blieben aus; durch Reichs­kommissar Göring fingierte Goldfunde konnten nur einen kurzlebigen Goldrausch auslösen; Handel, Ackerbau und Viehzucht beurteilte Reichskommissar Nachtigall als wenig aussichtsreich.[1] So breitete sich schon bald bei den Kolonialinteressenten äußerste Kolonialmüdigkeit aus. Die vom deutschen Bankkapital (Disconto-Gesellschaft, Deutsche und Dresdner Bank) 1885 mit 800 000 Mark Grundkapital ausgestattete „Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika“ (DKGfSWA) verfügte 1889 nur noch über ein Kapital von 110 000 Mark.[2]

Währenddessen versuchten die Kolonialpolitiker, das Territorium durch Abschluss sogenannter Schutzverträge mit Häuptlingen zumindest vor der englischen Konkurrenz sicherzustellen. Ein zeitgenössischer Kolonialfreund beschrieb die „Schutzverträge“, in denen die Kolonialisten Beistand gegen andere Stämme und Respektierung der Stammessitten versprachen, die Häuptlinge dagegen die Unbeschränktheit des Handels, die Unverletzlichkeit europäischen Eigentums und Lebens garantieren und die deutsche Oberhoheit anerkennen mussten: Ein deutscher Bevollmächtigter, Beamter oder Missionar „überredete den Häuptling, sich unter den Schutz des Reiches zu stellen. Die beiden Vertragschließenden, von denen der Häuptling in der Regel nicht schreiben kann (…), ziehen Zeugen zu, die nach Verlesung der angeblich vereinbarten, in Wahrheit vom Kolonisator vorgeschriebenen und durch Geschenke — Alkohol, Bleisoldaten und kastrierte Uniformen – beeinflussten Traktats gefragt wurden, ob sie alles verstanden hätten, worauf sie ihre Zustimmung besiegeln durften. Natürlich waren sich solche Häuptlinge nie darüber klar, dass sie sich nicht nur ihrer Hoheitsrechte, sondern auch ihres privatrechtlichen Grundbesitzes begaben.“[3]

Als sich aber zum Beispiel die Nama an solchen Verträgen nicht interessiert zeigten, als abgeschlossene Verträge von den Deutschen nicht eingehalten wurden und daraufhin die „Schutzherrschaft“ 1888 bei den Herero zusammenbrach, ging der deutsche Kolonialismus zur offen gewaltsamen Besetzung des Landes über, zur kolonialistischen „Pazifizierung“.

4.2.2. Die militärische Eroberung

Bis zu Beginn der neunziger Jahre hatten die afrikanischen Stammesverbände die noch vereinzelten Eindringlinge noch nicht als den Hauptfeind ihrer Existenz erkannt und an dieser Front den Kampf aufgenommen. 1892 jedoch endeten Kämpfe zwischen Nama und Herero. Den Kolonialisten stand drohend die Möglichkeit einer afrikanischen Einheitsfront gegen die Eindringlinge vor Augen. In dieser Situation eröffneten die deutschen Kolonialisten ihre militärische Aggression mit einem Massaker. Unter dem Befehl, „den Stamm der Witbooi zu vernichten“, überfielen sie die Witbooi-Niederlassung Hornkranz, brannten sie nieder und ermordeten 78 Frauen und Kinder.[4] (19) Die Kolonialtruppe von damals, erst 250 Mann, handelte sich mit diesem ersten Versuch einer Vernichtungsstrategie jedoch einen eineinhalbjährigen Guerilla-Krieg ein, wobei sie völlig in die Defensive geriet und jeder Handel zusammenbrach. Unter Gouverneur Leutwein kam dann ab 1894 eine Kolonialisierungsstrategie zum Zug, die unter Vermeidung größerer Unkosten und Konflikte scheinbar „humaner“ die Okkupation erreichen sollte.

Gegen alle Kolonialideologen machte Leutwein klar, worum es bei der Kolonialpolitik ging: „Das Endziel jeder Kolonisation ist, von allem idealen und humanen Beiwerk entkleidet, schließlich doch nur ein Geschäft (…) In Bezug auf die Art der Kolonisation gibt es infolgedessen im Grunde nur eine einzige Richtschnur, nämlich diejenige, die am sichersten zu dem erstrebten guten Geschäft führt (…).“ Die Rechtfertigung für die Kolonialpolitik sieht er nicht in einer „zivilisatorischen Mission“, sondern in dem „natürlichen Recht der kolonisierenden Rasse“, gegenüber der Urbevölkerung der Kolonie „in erster Linie ihren eigenen Vorteil zu suchen“.[5]

Leutwein bekennt sich offen zum Profitprinzip als oberstem Wert und höchster Norm der bürgerlichen Gesellschaft, lässt alle ideologischen Verbrämungen beiseite.

Für Namibia bestanden die Hauptaufgaben der Kolonialpolitik darin, afrikanisches Land und Vieh zu rauben und zugleich den afrikanischen Widerstand dagegen möglichst gering zu halten. Dieser planmäßige Raubzug wurde noch nicht unter dem Aspekt der damit verbundenen Freisetzung von Arbeitskräften gesehen; vielmehr kalkulierte man den Untergang afrikanischer Stämme ein, bei den Nama erwartete man ihn sogar.[6]

Einen Stamm nach dem anderen zwang Leutwein zur vertraglich fixierten Unterwerfung unter die deutsche Herrschaft: durch Androhung militärischer Gewalt, durch exemplarische Ermordung von Häuptlingen, durch Bestechung von Häuptlingen mit festen Jahresgehältern, durch raffinierte Ausnutzung von Widersprüchen zwischen und in den Stämmen. Entscheidende Einbrüche in die zersplitterte Front der Afrikaner erreichte Leutwein, als er den – durch deutsche Intrige dazu gewordenen — Herero-Oberhäuptling Samuel Maharero und den Nama-Häuptling Hendrik Witbooi, mit dem die Deutschen nur mühsam einen Verhandlungsfrieden erreicht hatten, zur Kollaboration gewann.[7] Mit ihrer Beihilfe gelang es der Kolonialmacht, seit 1896 immer wieder ausbrechende Aufstände zu isolieren und zu ersticken, sie zu Land- und Viehraub großen Stils im legalen Gewand der „Bestrafung“ auszunutzen.

Neben der militärischen Unterwerfung wurde der Eisenbahnbau als nächster Schritt zur Befestigung der Kolonialherrschaft vorangetrieben.

4.2.3. Die ökonomische Durchdringung

Unter dem Schutzschild der Kolonialtruppen, die die Produktionsmittel Land und Vieh per Raub von ihren afrikanischen Besitzern den Europäern zur Verfügung stellten, stießen Konzessionsgesellschaften, Einzelsiedler und Händler nach. Die Konzessionsgesellschaften, hinter denen hauptsächlich englisches, kaum deutsches Kapital stand, ließen mangels kurzfristiger Gewinnaussichten ihre 300 000 Quadratkilometer (1903) brach liegen.[8] Die europäische, vor allem deutsche Besiedlung setzte nennenswert um 1896 ein und richtete sich sofort auf die besten Regionen der Stammeszentren. Den Siedlerkolonialisten kam in der Leutwein`schen Okkupationsstrategie besondere Bedeutung zu: „Der Lebensstil der im Stammesgebiet ansässigen Europäer, der ständige Verkaufsdruck, der auch ohne Missbräuche des kolonialen Händlertums entstand, alles sollte bei den Herero Bedürfnisse wecken, Geld­bedarf erzeugen, Vieh- und Landbesitz der Herero angreifen, die traditionellen Wirtschaftsformen aushöhlen und damit die Sozialreformen bis zur schleichenden Auflösung der Stämme vorantreiben. Der ‚Druck der Zivilisation‘ sollte die militärische Eroberung überflüssig machen.“[9] Wenn auch Letzteres nicht zutraf, die ökonomischen und sozialen Wirkungen der Kolonialokkupation waren genau die von Leutwein beabsichtigten.

Der „Landfriede“ mit seiner Einschnürung der Stammesgebiete durch Festlegung von Grenzen und mit dem Verbot des Viehraubs gefährdete die Existenzgrundlage aller Viehzucht treibenden Stämme, vor allem in Dürrezeiten.[10] Die Europäer begrüßten es als „nicht ohne einen gewissen Segen“, als 1897 die Hälfte des Herero-Viehs an der aus der Kapkolonie eingeschleppten Rinderpest zugrunde ging, als darauf eine Malaria-Epidemie unter den Afrikanern 10 000 Tote forderte und schließlich noch ein Heuschreckeneinfall und Dürre folgten.[11]

Damit war das bis dahin herrschende Marktmonopol der Herero für Rinder gebrochen. Von schätzungsweise 100000 Rindern Anfang der neunziger Jahre waren den 80 000 Herero 1902 noch 46 000 geblieben; die 1051 deutschen Siedler und Händler besaßen inzwischen 44 500 Rinder. Von 83,5 Millionen Hektar besaßen die Afrikaner nur noch 31,4 Millionen Hektar, die Konzessionsgesellschaften 29,2 Millionen Hektar, der Kolonialstaat 19,2 Millionen Hektar und die Siedlerkolo­nialisten 3.7 Millionen Hektar.[12]

Der Jahresbericht 1899/1900 der Rheinischen Missionsgesellschaft stellte fest, dass die Witbooi und andere kleinere Nama-Stämme sich den „neuen Verhältnissen“ voraussichtlich nicht würden anpassen können; denn schon überstieg die Sterberate die Geburtenrate.[13] Bei den Herero führte die ökonomische zu einer kulturellen Krise, die sich in einer Übertrittsbewegung zur Missionskirche niederschlug.

4.2.4. Anfänge des primären Widerstandes

Indem sich der Kolonialismus an die systematische Zerstörung der Lebensgrundlagen der nomadisierenden Stammesverbände machte, erzeugte er ihren Widerstand. Als erstem der afrikanischen Häuptlinge war es Hendrik Witbooi klar, dass der deutsche Kolonialismus der Hauptfeind der Afrikaner war. Seit 1890 versuchte er vergeblich, den Herero-Oberhäuptling Maharero für eine antikoloniale Abwehrfront zu gewinnen. Nach der deutschen Aggression von Hornkranz standen die Witbooi auch als erster Stamm Namibias im bewaffneten Kampf gegen den deutschen Kolonialismus. Von anfänglich nur 250 Mann und 100 Gewehren wuchs der Witbooi-Trupp bald auf 600 Kämpfer und 400 Gewehre[14], zum beträchtlichen Teil auch aus anderen Nama-Stämmen.

Hendrik Witbooi rechtfertigte den Widerstand seines Stammes in der Sprache und den ideologischen Vorstellungen eines Teils der Kolonialisten, der christlichen Kirchen: „Gott der Herr hat verschiedene Königreiche auf der Welt gesetzt, und deshalb weiß und glaube ich, daß es keine Sünde und kein Verbrechen ist, dass ich als selbständiger Häuptling meines Landes und Volkes bleiben will (…).

Sie kommen zu mir mit Waffengewalt und haben mir erklärt, dass sie mich beschießen wollen. So denke ich diesmal auch, wieder zu schießen, nicht in meinem Namen, nicht in meiner Kraft, sondern in dem Namen des Herrn und in seiner Kraft und mit seiner Hilfe werde ich mich wehren.“[15]

Leutweins Antwort zeigte, daß die direkten Vertreter des Imperialismus längst eine andere Ebene der Rechtfertigung erreicht hatten: „Dass Du Dich dem Deutschen Reich nicht unterwerfen willst, ist keine Sünde und keine Schuld, aber es ist gefährlich für den Bestand des deutschen Schutzgebietes.“[16]

Mit ihrer Kleinkriegsstrategie gelang es den Witbooi, die Kolonialtruppen eineinhalb Jahre lang auf ihre Plätze zurückzutreiben und den Handel nachhaltig zu stören. Erst nach personeller und waffentechnischer Verstärkung der Kolonialtruppe und dem Gefecht an der Naukluft 1894 mussten die Witbooi den Widerstand einstellen. Sie waren dabei aber noch so stark, daß sie im Gegensatz zu allen bisherigen deutschen Unterwerfungsaktionen die Waffen und Pferde behielten.

Daß gerade die Witbooi dann aber bis 1904 auf Seite der Kolonia­listen gegen ihre Landsleute kämpften, verurteilte alle weiteren Aufstände und vereinzelte Widerstandsaktionen zum Scheitern auch wenn mit den Stämmen der Khauas und Mbanjeru zum ersten Mal Nama und Herero Seite an Seite gegen die Kolonialmacht kämpften, auch wenn es 1895 zu einer Annäherung zwischen den bis dahin verfeindeten Herero und Ovambos kam, die Ovambos Munition gegen Vieh lieferten.[17]

Nach den Khauas und Mbandjeru 1896 erhoben sich 1897 die Afrikaaner, als die Kolonialisten unter dem Vorwand einer Rinderpestverordnung viehfreie Streifen befahlen und damit das Stammesgebiet einschnürten und alles Vieh beschlagnahmten, das in den verbotenen Zonen auftauchte. 1897 erhoben sich auch die Zwartboois-Nama gegen von Deutschen eingesetzte Häuptlinge; 1899 die Herero unter Tjetjo gegen Landverkäufe durch kollaborierende Häuptlinge wie Maharero. 1901 erhoben sich die Nama von Grootfontein; 1903 die Bondelzwart-Nama gegen die Abstempelungspflicht von Waffen und gegen Landverkäufe kollaborierender Häuptlinge.

Sie unterlagen in erster Linie wegen der tribalen Zersplitterung der Kämpfe und der Kollaboration führender Stammeshäuptlinge. Spionage und Wehrkraftzersetzung durch die Missionare, die die christianisierten Afrikaner vom Kampf abhielten, die imperialistische Solidarität der Kappolizei und nicht zuletzt die waffentechnische Überlegenheit der Kolonialtruppen — wenige großkalibrige und Maschinenwaffen entschieden den Ausgang vieler Gefechte — waren weitere Faktoren, die zum Sieg der Kolonialmacht in dieser ersten Phase des tribalen (Stammes-)Widerstandes führten. Für die Stammesverbände hatte die militärische Niederlage Erschießung der Überlebenden (Afrikaaner), Einziehung ihres Landes (Zwartboois, Topnaars, Bondelzwarts, Bethanier), Entwaffnung und Verschickung als Zwangsarbeiter zum Bahnbau (Westherero, Nama von Grootfontein) zur Folge.

4.2.5. Kolonialismus und Ovambos (…)

4.3. Die Freiheitskriege 1904-1907

 4.3.1. Der Hererokrieg

Nachdem die Kolonialmacht zunächst Erfolg in ihren Unterwerfungsaktionen zu haben schien, erhoben sich am 12. Januar 1904 schlagartig die Herero. Für die Kolonialisten, deren Truppen zur gleichen Zeit größtenteils zur Niederschlagung des Bondelzwart-Aufstandes in den Süden abgezogen waren, völlig überraschend überfielen sie überall im Land Farmen und Militärposten des Feindes.

Zu den Ursachen schrieb der zeitweilige Siedlungskommissar Rohrbach: „Die Landfrage bildete den Untergrund, auf dem sich die ganze wachsende Abneigung unter den Herero gegen die deutsche Herrschaft erhob. An diesem Anlass zur Unzufriedenheit kristallisierte sich alles übrige an: die Übergriffe der Händler, die Eintreibung der Viehschulden, die Erbitterung über allerlei Einzelvorgänge, Tötungen von Hereros durch Weiße usw.“

Ein Häuptlingssohn: „Die Grausamkeit und Ungerechtigkeit der Deutschen hat uns zur Verzweiflung getrieben und unsere Führer und das Volk fühlten, dass der Tod seinen Schrecken verlor gegenüber den Bedingungen, unter denen wir lebten.“[18]

Der deutsche Generalstab schließlich schätzte die Ursachen des Herero-Aufstandes folgendermaßen ein: „Der große unvermeidbare Kampf mit den Eingeborenen musste früher oder später kommen, wollte anders Deutschland nicht auf eine wirtschaftliche Erschließung des Landes ver­zichten. Wer hier kolonisieren wollte, musste zuerst zum Schwert greifen und Krieg führen f.. .) mit starker, Achtung gebietender Macht bis zur völligen Niederwerfung der Eingeborenen.“ [19]

Das Herero-Volk kämpfte um seine Existenz, um sein Überleben. In den Minen der Kapkolonie arbeitende Herero kehrten nach Namibia zurück und schlossen sich dem Freiheitskampf an. Die Hererofrauen feuerten hinter den Linien die Kämpfer in Sprechchören an: „Wem gehört Herero-Land? Uns gehört Herero-Land.“[20] „In dem Maße, wie die Erkenntnis von der Notwendigkeit des Kampfes bis aufs Äußerste in den Reihen der Herero zunahm, wuchs auch ihre Entschlossenheit und innere Widerstandskraft.“[21]

Bei einer Gesamtstärke von sieben- bis achttausend kampffähigen Männern und 6 000 Gewehren war ihre Strategie, mit massierten Kräften von einigen Tausend Mann die offene Feldschlacht mit dem Feind zu suchen. Dazu waren sie wegen ihrer immer noch verhältnismäßig großen Herden gezwungen, die sie nicht jenseits der Grenze evakuieren konnten, da vor ihr die wasserlose Omaheke lag.

Die Kampfkraft der Herero hob sogar das Generalstabswerk über den Herero-Krieg hervor: „Unsere Gegner standen an Gewandtheit und Schießfertigkeit den von den Engländern bekämpften Buren nicht nach. An kriegerischem Wert und Entschlossenheit des Handelns übertrafen sie diese sogar bei weitem.“ Über Bewegungen und Stärke der Kolonialtruppen waren die Herero „stets gut unterrichtet“.[22] Der Befreiungskampf der Herero richtet sich gegen die direkten Vertreter des Kolonialismus, männliche Siedler und Militärs. Frauen, Kinder, ja sogar Missionare, Buren und Engländer wurden geschont. Der sonst nicht kolonialkritische Missionar Irle berichtete, dass alle laut kolonialistischer Greuelpropaganda“ abgeschlachteten“ Frauen lebten.[23] Anders dagegen die deutsche Kriegsführung unter General von Trotha, der bald den militärisch erfolglosen Leutwein ablöste und reichliche Kolonialkriegserfahrung aus China und Ostafrika mitbrachte. Leutweins Kriegsziel war, die Herero politisch zu töten, sie ohne Stammesführung in Reservaten zusammenzutreiben, da man sie noch als Arbeitskräfte und kleine Viehzüchter benötigte.

Trotha dagegen gab der Pogromstimmung unter den Weißen — „man hörte in dieser Beziehung nichts als ‚aufräumen, aufhängen, niederknallen bis zum letzten Mann`“[24] – und dem „Brauch“ der Kolonialtruppe, keine Gefangenen zu machen — „allen Männern jedoch, die bewaffnet der Truppe in die Hände fielen, hatte ihre letzte Stunde geschlagen“[25] – volle politische Rückendeckung. Seine Linie war, dass die afrikanischen Stämme in „diesem ersten Anzeichen eines Rassenkampfes“ nur der Gewalt weichen würden:[26] „Diese Gewalt mitkrassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit auszuüben, war und ist meine Politik. Ich vernichte die aufständischen Stämme in Strömen von Blut und Strömen von Geld. Nur auf dieser Aussaat kann etwas Neues entstehen, was Bestand hat.“[27]

Die Kriegsentscheidung fiel im August 1904 am Waterberg, wo sich 50-60 000 Herero einschließlich Frauen und Kinder gesammelt und verschanzt hatten. Da trotz des Einsatzes von Artillerie an einen Sieg der Kolonialisten in einer Kesselschlacht nicht zu denken war, trieb man das Volk der Herero in die angrenzende Omaheke, „wo Durst und Entbehrung seine Vernichtung vollenden mussten“.[28] Das Generalstabswerk: „Keine Mühen, keine Entbehrungen wurden gescheut, um l dem Feind den letzten Rest seiner Widerstandkraft zu rauben; wie ein halb zu Tode gehetztes Wild war er von Wasserstelle zu Wasserstelle gescheucht, bis er schließlich, willenlos, ein Opfer der Natur seines eigenen Landes wurde. Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: Die Vernichtung des Herero-Volkes. „[29]

Im Oktober erließ Trotha folgenden Vernichtungsbefehl: „Ich, der große General der deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der Herero. Herero sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet, gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen (…) Das Volk der Herero muss jetzt das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem groot Rohr (Geschütz) dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen. (…)

Der große General des mächtigen Kaisers, von Trotha.“ [30]

Nach monatelangen Ausrottungszügen von Kolonialtruppen in die Omaheke stellte das Generalstabswerk zur Lage Anfang 1905 fest: „Die mit eiserner Strenge monatelang durchgeführte Absperrung des Sandfeldes vollendete das Werk der Vernichtung, (…) Das Drama spielte sich auf der dunklen Bühne des Sandfeldes ab. Aber als die Regenzeit kam, als sich die Bühne langsam erhellte und unsere Patrouillen bis zur Grenze des Betschuana-Landes vorstießen, da enthüllte sich ihrem Auge das grauenhafte Bild verdursteter Heereszüge.

Das Röcheln der Sterbenden und das Wutgeschrei des Wahnsinnes …sie verhallten in der erhabenen Stille der Unendlichkeit! Das Strafgericht hatte sein Ende gefunden.

Die Hereros hatten aufgehört, ein selbständiger Volksstamm zu sein.“[31]

4.3.2. Die Namakriege

Im August 1904 erhoben sich die Nama-Stämme gegen die deutsche Kolonialherrschaft, ausgenommen einige kleinere, durch die Mission neutralisierte Stämme. Mit anfangs nur 1000-2000 Mann kämpften sie zunächst nur im Rahmen der Stammesverbände, später in gemischten Einheiten, zu denen auch Herero stießen.[32] Da sie ihr Vieh ins angrenzende englische Betschuanaland evakuieren konnten, bekämpften die Nama die deutschen Kolonialtruppen in der Form des Guerilla-Krieges. „In zahlreiche kleine Banden aufgelöst, durchstreifte er (der Gegner) das Land. Marschierende und ruhende Truppen, Kolonnen, Stationen, Posten waren nirgendwo und zu keiner Zeit vor den allenthalben auftauchenden Banden sicher. ‚Feind überall‘ war das Kennzeichen der Lage.“[33]

Mit größter Beweglichkeit und unter maximaler Ausnutzung des Geländes überfielen die Nama den Feind immer an seinen schwächsten Punkten, wichen jeder Entscheidung aus und versuchten so, die schwerfälligen Kolonialtruppen, die ihre waffentechnische Überlegenheit nicht ausspielen konnten, zu zermürben. Begünstigt wurden sie dabei durch die Tatsache, dass die Kolonialisten im Namaland weder über Eisenbahn noch Telegraphenverbindung wie im Hereroland verfügten, dass deren Nachschublinien lang, wenig aufnahmefähig und verletzbar waren. Auch die Freiheitskämpfer der Nama musste das Generalstabswerk als „ebenbürtige Truppenmacht“ anerkennen: Den achtzigjährigen Hendrik Witbooi nannte es einen typischen Vertreter der südafrikanischen Kriegführung, deren Merkmale eine unbestrittene Meisterschaft im Anlegen von Überfällen, höchste Beweglichkeit und Zähigkeit in der Fortsetzung eines an sich aussichtslosen Widerstandes. (…) Oft geschlagen war er nie völlig niedergeworfen worden.“[34]  Nur bezüglich der Brutalität der Kriegführung waren auch die Nama den Kolonialtruppen weit unterlegen: während es bei den Kolonialtruppen immer wieder zur Ermordung von Gefangenen kam[35], bemerkte das Generalstabswerk: „Die Frauen und Kinder wurden (von den Nama) im Allgemeinen geschont und an die Grenze des Witbooi-Landes gebracht.“[36]

In über 200 Gefechten widerstanden die Nama-Einheiten einer Kolonialarmee, die von l 500 Söldnern Anfang 1904 auf 15 000 im Jahr 1905 vergrößert worden war, die zahlenmäßig 5-10 mal so stark war wie die Nama und diesen von Ausrüstung und Waffen her weit überlegen war.[37] Auch als die größeren Nama-Stämme, zum Beispiel die Witbooi, kapituliert hatten und nur noch wenige Hundert Nama im Kampf standen, konnten die Kolonialisten keine Kriegsentscheidung herbeiführen. Erst als unter dem seit Kriegsbeginn vierten deutschen Oberkommandierenden (Deimling) von der Strategie konzentrischer Einschließungsaktionen mit größeren Verbänden übergegangen wurde zu einer politisch und militärisch beweglicheren Anti-Guerilla-Kriegsführung, gelang es der Kolonialmacht nach zwei Kriegsjahren, den letzten Nama-Einheiten Friedensverträge aufzuzwingen.

Auch nach Aufhebung des Kriegszustandes am 31.7.1907 überfielen noch Nama unter Simon Kopper und Jakob Morenga weiterhin deutsche Patrouillen. „Das Ende der letzten Guerilla-Aktionen wurde (…) in allen Fällen erst durch Verhandlungen erreicht, die zum Teil deutsche Missionare und Offiziere der britischen Kap-Polizei vermittelten.“[38] (Gegen die waffenlosen und militärisch besiegten Afrikaner führte die Kolonialmacht den Krieg in veränderter Form weiter. Mit Hilfe der Mission, die während des Krieges ständig unter den Afrikanern gepredigt hatte, „jedermann sei Untertan der Obrigkeit“, „freiwillige Unterwerfung“ und Buße, und damit Teil der psychologischen Kriegsführung der Kolonialmacht war, wurden sogenannte Sammellager, in Wirklichkeit Konzentrationslager, mit überlebenden Herero und Nama gefüllt.[39] Die Gefangenen wurden zu schwerster Zwangsarbeit eingesetzt, von 15 000 eingesperrten Herero starben bis zur Auflösung der Lager 45 %. Von l 795 auf der Haifischinsel in der Lüderitzbucht gefangen gehaltenen Nama starben l 032 innerhalb von sieben Monaten. Nur aus Kostengründen wurden Pläne, ganze Stämme nach Togo, Kamerun oder Samoa zu deportieren, fallengelassen. Von hundert nach Kamerun deportierten Witbooi überlebte ein Drittel.[40] Insgesamt brachte der deutsche Imperialismus 80 % der Herero um – von 80 000 Herero vor dem Krieg lebten 1911 noch 15 130 – und die Hälfte der Nama.[41]

Alles Land der am Kampf beteiligten Stämme wurde eingezogen, die übriggebliebenen letzten

3 000 Herero-Rinder – Vorkriegsstand 50 000 – wurden beschlagnahmt.[42]

In den Freiheitskriegen hatten Herero- und Nama-Stämme versucht, die drohende Vernichtung ihrer Existenzgrundlagen abzuwenden, wieder zum Subjekt ihrer Geschichte zu werden. Sie entwickelten dabei eine Kampfkraft, die nur aus dem Wesen ihres Kampfes als einem Volkskrieg zu erklären ist. Sie kämpften, was auch ihre Gegner zugaben, um ihre Existenz — nicht in propagandistisch vorgegaukelter „nationaler Verteidigung“ für eine herrschende Klasse. Dem gerechten Ziel ihres Kampfes entsprechend waren die Freiheitskämpfer aufs engste mit ihrem Volk verbunden. Die Trennung zwischen kollaborierenden Stammesführern und Stammeskollektiven war vor allem durch den Druck der Jüngeren überwunden worden, im gemeinsamen Kampf gemischter Einheiten waren Stammesgegensätze verschwunden.[43] Im Krieg gegen den deutschen Kolonialismus konstituierte sich in Ansätzen die namibianische Nation.

Die Stärke der Afrikaner lag also darin, dass es um ihr Volk und ihr Land ging, dass ihr Kriegsziel gerecht war. Hingegen versuchten die meisten kolonialapologetischen Schriften von dieser Tatsache abzulenken, indem sie das ‚kriegerische Wesen wilder Stämme‘ zur Ursache afrikanischer Widerstandskraft erklärten.

Herero und Nama konnten aber die koloniale Besetzung nur erschweren und aufhalten, aber nicht verhindern oder einschränken. Denn die entscheidende Schwäche ihres heroischen Kampfes war weniger die technische und zahlenmäßige Unterlegenheit. Ihre entscheidende und — auf der Stufe des primären Widerstandes – historisch unvermeidbare Schwäche war, dass ihre einzige politische Perspektive die Restauration traditioneller vorkapitalistischer Verhältnisse war; dass sie über die Überwindung tribaler Grenzen auf der Ebene der kämpfenden Einheiten hinaus eine umfassende Einheitsfront aller dem Kolonialismus gegen­überstehenden Stammesverbände mit einer zentralisierten Führung nicht herausbilden konnten. Zudem blieben sie international isoliert. Die internationale, insbesondere die deutsche Arbeiterbewegung erkannte die Kolonialvölker noch nicht als Verbündete im Kampf gegen denselben Feind, den Imperialismus und Kolonialismus. Bei der Abstimmung im deutschen Reichstag über den Etat für den Hererokrieg enthielt sich die SPD-Fraktion aus „Rücksicht auf die in ihrem Leben bedrohten Ansiedler“ der Stimme. Der führende Sozialdemokrat Ledebour argumentierte auf dem SPD-Parteitag 1904 gegen den Antrag, in Zukunft aus prinzipieller Gegnerschaft gegen die Kolonialpolitik alle Kolonialanträge im Reichstag abzulehnen: „Ein Teil der Genossen hat sich so geäußert, als ob die Neger das Recht hätten, die Weißen zu massakrieren. Das können wir nicht billigen. Gegenüber den Ansiedlern müssen wir den Grundsatz vertreten: gleiches Recht für alle.“[44]

Der Antrag wurde abgelehnt, die Mehrheit der SPD blieb bei ihrer Position „dass Kolonialpolitik betrieben wird, ist an und für sich kein Verbrechen. Kolonialpolitik zu treiben kann unter Umständen eine Kulturtat sein; es kommt nur darauf an, wie die Kolonialpolitik betrieben wird.“[45]

So richtete sich in der Folgezeit die Kritik der SPD an der Kolonialpolitik auch nur gegen „herausgeworfene Gelder“, gegen „koloniale Volksausplünderung“ und gegen bekannt gewordene Fälle von Eingeborenenmisshandlungen.[46]

4.3.3. Die unmittelbaren Folgen der Freiheitskriege

Der deutsche Imperialismus hatte das erste strategische Ziel erreicht: die Freisetzung der zentralen Produktionsmittel des Landes, Boden und Vieh, als der einen Voraussetzung kapitalistischer Produktion und – mit dieser „Befreiung“ der Afrikaner von ihren Subsistenzmitteln – deren Freisetzung als Arbeitskräfte, die zweite Voraussetzung der Aufnahme kapitalistischer Produktion in größerem Umfang. Dieses Ziel erreichte der deutsche Imperialismus nur unter großen Schwierigkeiten und hohen Verlusten: 2000 eigenen Toten, 600 Millionen Mark Kriegskosten, wobei Einzelkapitale kräftige Extraprofite einstrichen. Die sich bis zum Völkermord steigernde Zerstörung der Stammesverbände widersprach — wenn auch von vornherein einkalkuliert sogar der ökonomischen Logik des Kapitals. Eine unter nicht wenigen bürgerlichen Stimmen: „Was den Gesichtspunkt der Humanität betraf (…), so muss an sich zugegeben werden, dass unter Umständen, um die friedliche Siedlung der Weißen von einem schlechthin kulturunfähigen, räuberischen Eingeborenenstamm zu sichern, dessen tatsächliche Ver­nichtung erforderlich werden kann.“ Nur: „In einer Kolonie von den wirtschaftlichen Verhältnissen Südwestafrikas durften wir uns den Luxus nicht leisten, erst so und so viel Tausend Eingeborene im Sandfeld zur Strafe verdursten zu lassen, denn das Wirtschaftsleben des Landes brauchte sie, nachdem ihre alte Stammesselbständigkeit und ihre alten Besitzrechte dahin waren, als Arbeiter.“[47] 

Dennoch: die Grundlagen für den Aufbau einer kapitalistischen Wirtschaft in Namibia waren damit geschaffen. Erneut bestätigte sich die historische Erfahrung, dass die Einbeziehung vorkapitalistischer Regionen in den kapitalistischen Weltmarkt nicht friedlich, „rein ökonomisch“ allein über den Warentausch geschah, sondern gewaltsam und zerstörerisch. (…)

 

[1] Drechsler, Horst, Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft, 1984-1915, Berlin/DDR 1966, S. 62; Nußbaum, Manfred, Vom „Kolonialenthusiasmus“ zur Kolonialpolitik der Monopole. Zur deutschen Kolonialpolitik unter Bismarck, Caprivi und Hohenlohe, Berlin/DDR 1962, S. 101

[2] Drechsler, S. 45

[3] M. v. Hagen, zit. bei Nußbaum, S. 95. Die betrügerischen und gewaltsamen Methoden bei der Errichtung der „Schutzherrschaft“ sind ausführlich dokumentiert bei Drechsler, S. 37 ff; Bley, Helmut, Kolonialherrschaft und Sozialstruktur in Deutsch Südwestafrika (1894-1914), Hamburg 1968, S. 24 ff. (ab 1894).

[4] Drechsler, S. 79

[5] Leutwein, Theodor, elf Jahre Gouverneur in Deutsch Südwestafrika, Berlin 1906, S. 541

[6] Bley, S. 125

[7] Leutwein, S. 77

[8] Rohrbach, Paul, Deutsche Kolonialwirtschaft, Band 1: SWA, Berlin 1907, S. 504

[9] zit. bei Drechsler, S. 157

[10] Bley, S. 29

[11] ebenda, S. 350

[12] Wellington, John H., South West Africa and ist human issues, Oxford 1967, S. 193,213

[13] Bley,S. 125

[14] Drechsler, S. 85

[15] zit. bei Leutwein, S. 43

[16] zit. ebenda, S. 44

[17] Drechsler, S. 109

[18] zit. bei Drechsler S. 166

[19] Generalstabswerk Bd. I, S. 4,

[20] Drechsler S. 175

[21] Generalstabswerk Bd. I, S. 89

[22] ebenda. S. 19, S. 174

[23] Drechsler S. 170

[24] Aussage des Missionar Elger, zit. ebda. S. 169

[25] Großer Generalstab, Kriegsgeschichtliche Abteilung (Generalstabswerk), Die Kämpfe der deutschen Truppen in Südwestafrika, Bd. l, Berlin 1906/07, S. 186. Frauen und Kinder wurden niedergemacht, Kranke in ihren Hütten verbrannt. Drechsler S. 186

[26] zit. in Generalstabswerk Bd. I, S. 208

[27] zit. bei Drechsler S. 180

[28] Generalstabswerk Bd. I, S. 198

[29] ebenda. S. 207

[30] zit. bei Drechsler S. 184; vom Generalstabswerk verschwiegen.

[31] Generalstabswerk Bd. I, S. 214

[32] Schätzungsweise 600-700 Witbooi, 300-400 Bondelzwarts, 300-400 Bethanier. Leutwein S.

[33] Generalstabswerk Bd. II, S. 299 f

[34] ebenda S. 7

[35] Drechsler S. 224

[36] Generalstabswerk Bd. II, S. 13

[37] Karstedt, Oskar, der weiße Kampf um Afrika, Band 2: Deutschland in Afrika, Berlin 1938, S. 213

[38] Bley, S. 191

[39] Drießler, Heinrich, Die Rheinische Mission in Südwestafrika, Band 2 der Geschichte der Rheinischen Mission, Gütersloh 1932, S. 199, 203

[40] Drechsler S. 214, 250 f

[41] ebenda S. 252

[42] ebenda S. 256. Wellington S. 217 f

[43] Drechsler S. 210

[44] Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Protokolle der Parteitage, Parteitag 1904, S. 203

[45] Bebel auf dem SPD-Parteitag 1907, Protokoll S. 132. Die Revisionisten um Bernstein unterstützten offen die Kolonialpolitik. Vgl. Bernstein S. 179 ff. Dokumente zum Verhältnis der SPD zum deutschen Imperialismus vor 1914 bei Heibig S. 70 ff.

[46] Protokoll des Parteitags 1905, 5. 78; 1911,5. 125.

[47] Rohrbach S. 352, 361

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