Nach 55 gemeinsamen Jahren trennten sich 2021 unsere Lebenswege.
Erinnerungen an Angela, die am 21. Mai 2021, heute vor drei Jahren plötzlich starb ( Fotos auf www.facebook.com/winfried.nachtwei )
Ihre Worte
Angelas Nachricht aus dem Flüchtlingslager Tug Wajale bei Hargeisa/Nordsomalia Juni 1981, wo sie, die Kinderkrankenschwester, im Rahmen des Notärzte-Komitees sieben Monate arbeitete (verlesen beim Abschied von Angela am 16. Juni):
„Zzt. hocke ich in Tug Wajale (Flüchtlingslager bei Hargeisa in Nordsomalia) und halte die Stellung., bis die neue Truppe kommt – bin also halb Arzt, halb Schwester, wie Achmed meint, der somalische, Deutsch sprechende Translater. (…)
Zwei Somali-Jungen (15-16 Jahre) helfen tatkräftig und gut, vielleicht fällt dir was für die ein. Sie besuchen hier die „Grundschule“, Stand ca. 3.-4. Schuljahr. Wussten z.B. nichtdass die Erde rund ist, sich um die Sonne dreht, warum Tag und Nacht, weshalb Mond mal voll, mal Sichel usw. Seit Sonntag hocke ich hier also (flexibel nicht? Es wollte sonst keiner).
Aber immerhin werde ich hier von vier somalischen Soldaten bewacht, das Auto ist stets startbereit, und jetzt genehmige ich mir eine Tasse Rotwein. Im Hintergrund sind somalische Laute zu hören, begleitetet vom Rhythmus einer Trommel. (…)
In den letzte Tagen hat`s mal wieder ganz schön geschüttet. Spannend fand ich meine erste Fahrt heute am Steuer des Landrover. Durch ewige Schlaglöcher und Schlammseife. Hatte mir so viel Mut und Spaß gar nicht zugetraut. Wenn man muss, geht fast alles. Hab auch schon locker Wunden genäht, hätte nie gedacht, dass das das durch Hornhaut (z.B. Fuß) so schwer geht, besonders mit Nadelhalter und Pinzette. Die Impatients hier sind zzt., außer in den Tb-Zelten: 1 Schwangere mit Tb und Blutsturz, ein Schwarzwasserfieber (Komplikation bzw. Folgeerkrankung der schweren Malaria) mit amöb. Abzessen in Leber, ein Typhusverdacht mit seltsamem Fieber, ein Kind mit Dehydration (Austrocknung) und Eiweißmangel, Anämie, Pneumonie (Lungenentzündung) und Üblichkeiten wie Schuban, Ödemen usw. Ja, ja, werde doch noch Barfußarzt. Heute bin ich fast ausgeflippt (aber nur fast), so viele Patienten und alles alleine tun, fast unmöglich. Musste die „leichten“ Fälle aus der nahen Umgebung wegschicken und vertrösten; die aus der Ferne und natürlich echt Schwerkranke „bediene“ ich, aber Buchführung ist jetzt nicht drin. (…)
Ich habe nicht den Eindruck, dass mich mein Mut verlässt – die Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten sind klar massiv, hindern mich aber nicht, weiter den Leuten auf den Füssen rum zu latschen und lästig zu sein. Nur Ausdauer, Optimismus, ein dickes Fell und ein wenig Idealismus sowie Verständnis schlagen Brücken … Außerdem freut`s mich, dass die „praktischen Leute“ (Wasserbohrer u.a.), die gern saufen und keine Typen für medizinisches Personal sind, aber ganz töfte Kumpel und echte Malocher sind, dass die mich mögen …“
Von Menschen, die Angela kennengelernt haben (aus Beileidsschreiben)
Ein Bekannte, dessen Frau, eine Ärztin, Angela auf der Kinderintensiv begegnet war:
(…) (Meine Frau) wird Ihnen bestimmt noch einmal gern berichten, wie hoch angesehen Ihre liebe Frau als Leitende Schwester auf der Kinderintensivstation war und wie sie mit dem damaligen Oberarzt Dr. N.unglaublich segensreich gewirkt hat.
Ich habe nie vergessen, wie einfühlsam Ihre Frau unsere Mutter in ihrer Sterbestunde begleitet hat…da kann ich fast Tränen des Danks nicht unterdrücken…
Ein ehemaliger Arzt der Uni-Klinik Münster:
Angela war ja meine Mitstreiterin während der Pionierjahre der Kinderintensivmedizin in Münster. Ich habe sie nicht nur geschätzt, sondern auch geliebt (bitte das nicht falsch verstehen). Auch ihre künstlerische Begabung hat mir großen Eindruck gemacht. So hat sie für unsere Kinder eine wunderschöne Spielzeugkiste in Gestalt eines großen Löwen gebaut, der jahrelang bespielt wurde.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen sagen, dass ich mit Ihnen in Ihrem Leid mitfühle, ferner möchte ich mitteilen, was ich in Bezug auf das Sterben Ihrer lieben Frau glaube: Angela geht es dort, was wir als Jenseits bezeichnen, sicherlich sehr gut; könnte sie mit uns reden, so würde sie uns wohl sagen: „seid nicht so traurig, es wird die Zeit kommen, wo wir uns wiedersehen werden. (…)“
Ein Physiotherapeut, der Angela mehrere Jahre bis zu ihrer schweren Erkrankung behandelt hatte: „(…) nach unserem telefonischen Gespräch hatte ich keine Worte mehr. Frau Nachtwei war eine tolle Frau, voller Freude, Mut, Hoffnung für alle und Motivation. Ich werde unsere tollen Gespräche unendlich vermissen, genau wie auch unser Training gemeinsam. (…)“
Die vorhergehende Physiotherapeutin:
„(…) Es ist wahrscheinlich überhaupt nicht in Worte zu fassen, wenn man eine so liebe Person verliert und ich hoffe sehr, dass es Ihnen bald besser geht. Das hätte ihre Frau sich bestimmt auch gewünscht. Ich mochte ihre Frau unheimlich gerne und ich wollte so gern noch ein Lasagne-Eis mit ihr gemeinsam in Gievenbecks Eisdiele essen. Ihre Frau hat mich immer sehr beeindruckt und ich erinnere mich in vielen Situationen an sie.
Sie war unglaublich herrlich und so ehrlich, dabei aber sehr emphatisch und herzlich. Es gibt nicht viele Menschen auf dieser Welt, die so selbstlos und warmherzig sind. Wie gesagt, ich war und bin immer sehr beeindruckt gewesen. Ich werde oft an Ihr schönes, lautes, etwas freches Lachen denken, wir hatten wirklich viel Spaß zusammen. (…)“
Ein langjährig befreundetes Paar:
„(…) 55 Jahre habt Ihr gemeinsam verbracht – eine große Seltenheit in diesen Zeiten häufig wechselnder Partnerschaften und ein Zeichen großer Treue und Verbundenheit.
Was ihr als politische engagierte Menschen in diesen Jahrzehnten alles gemeinsam erlebt habt: die Ausläufer der Studentenbewegung, die Friedensbewegung, die Gründung der Grünen, den Mauerfall, die Neugestaltung von Ost und West, das globale Zusammenwachsen durch die digitalen Medien – und einiges davon habt ihr aktiv mitgestaltet. Eigentlich genug für mehrere Leben.
Angela hat in dem Ganzen eine besondere – und ihre ganz eigene – Rolle gespielt. Ihre Einsätze im Notärzte-Komitee in verschiedenen Krisenregionen zeugen von großem Mut. Ihre Unterstützung für die Opfer des Nationalsozialismus zeugen von großem Herzen. Sie hat damit nicht nur Menschen in schwierigen Lebenssituationen unmittelbar geholfen, sondern auch Leben gerettet – und damit mehr erreicht, als viele andere durch politische Reden. Andere hätten in politischen Kontexten mit solchen Taten geprahlt. Angela dagegen war zurückhaltend und bescheiden. Sie hat da alles um der Menschen willen getan und nicht, um andere zu beeindrucken. (…)“
Langjährige grüne Kolleg:innen:
„(…) Ihr trockener Humor, ihre emotionale Kreativität und vor allem auch ihre ständig spürbare Loyalität Dir und unsere gemeinsamen politischen Idealen gegenüber – all das werden wir immer mit ihr verbinden. (…)
Ein General:
„(…) Es ist kaum vorstellbar, wie hart dieser Einschnitt in das Familienleben einwirkt. Insbesondere vor dem Hintergrund dieser nahezu lebenslangen Partnerschaft und Kameradschaft.
Der Glaube kann helfen, aber auch, dass die Erinnerung an Frau Nachtwei-Hanak, ihre besondere Persönlichkeit wie auch ihr Wirken, fortleben werden. Sie hatte sich so vielen humanitären, dem Frieden und der Versöhnung dienenden Projekten verschrieben, dass ich sicher bin, dass ein großer Eindruck und Abdruck bei den Lebenden bleiben wird. Nicht zuletzt die Stärke, die Sie, lieber Herr Nachtwei, offenkundig von ihr bezogen haben, hat auch Ihr umfangreiches Wirken maßgeblich beeinflusst.
Es bleibt mir, im Namen des (multinationalen Verbandes) meine tiefe und aufrichtige Anteilnahme auszudrücken. (…)“
Zwei Mitreisende auf einer Chinareise:
„(…) Ich habe sie als sehr herzensnahen Menschen in meiner Erinnerung. Sehr gern mochte ich ihr Lachen, ihre Offenheit und Zugewandtheit. 55 Jahre sind eine lange Zeit. Ich habe euch beiden in unseren doch eher wenigen Begegnungen immer als eine gute Gemeinschaft, Rücksicht auf einander nehmend, wahrgenommen. (…)“
„(…) Deine Mail hat in mir einen Film ablaufen lassen. Ich erinnere mich gern an die vielen „Zigarettengeschichten“ mit Angela in China, ihre liebe Art und die damit verbundenen Erzählungen haben mich gefesselt. Danke, dass ich zu den Menschen zähle, an die du gedacht hast. Danke auch dafür, dass ich euch kennenlernen durfte. (…)“
Ein früherer Mitarbeiterkollege in der Fraktion:
„(…) Es bleibt zu erinnern und zu wertschätzen, wieviel diese Frau gegeben hat – Dir als Partnerin über so lange Zeit – und vielen anderen Menschen durch ihren Mut, durch ihren Einsatz und durch ihre Herzenswärme.
Ich schreibe das nicht, um Dich zu trösten, sondern weil ich es ehrlich so empfinde: Ich habe viel Glück mit meinen Chefs gehabt, aber eine solche Wärme und Menschlichkeit wie bei Dir habe ich niemals zuvor oder danach erlebt. Und erst nach ein paar Monaten in Deinem Büro habe ich realisiert, dass diese Menschlichkeit nicht nur (!) von Dir selbst kommt, sondern dass da noch ein kleines Winni-Team in Münster dahintersteckt – vor allem in Person von Angela. Sie schickte uns nicht nur die legendären Winni-Gummibären, um die uns die gesamte Fraktion beneidete. Ich bin davon überzeugt, dass sie Dich ganz wesentlich geprägt und „kalibriert“ und zu dem Politiker und Menschen gemacht hat, der Du bist.
Ich habe Angela hin und wieder am Telefon gesprochen und erinnere mich an eine tiefe rauchige Frauen-Stimme die gerne und häufig in Lachen ausbrach – unverwüstlicher rheinischer Humor. Getroffen habe ich sie vielleicht nur dreimal, aber ich empfand im besten Sinne eine mütterliche Art und Weise, die mich ganz vorbehaltlos in ihr Herz schloss. Das war sehr besonders, sehr rührend. Und gleichzeitig spürte ich eine ganz starke Prinzipienhaftigkeit, Standhaftigkeit, Leidenschaft für Gerechtigkeit, einen moralischen Kompass, der den manchmal (!) zynischen Politikbetrieb in Berlin sicherlich mit gesundem Misstrauen betrachtete – und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sie zwar meistens, aber bestimmt nicht immer und vor allem nicht „automatisch“ mit allen Entscheidungen des Herren Berufspolitikers Nachtwei einverstanden war.
Zuerst wunderte ich mich heute, dass Du ihren „Lebenslauf“ mit Deiner Nachricht verschickt hast. Aber als ich den dann las, verstand ich es sehr gut, denn auch ich wusste sehr wenig über ihr eigenes (!) politisches Engagement, das über Deine Unterstützung weit hinausging. Das ist ein beeindruckender Lebenslauf. Der Lebenslauf einer Frau, die sich sehr mit ihrem Land und seiner Geschichte auseinandergesetzt hat. Du kannst sehr stolz auf sie sein. Und ich weiß, Du bist es.
Wenn ich an Angela denke, muss ich auch denken an die Briefmarken, die sie für mich als Geschenk zu meinem Abschied angefertigt hatte, mit Fotomontagen mit Dir und Peter Struck und mir. Und man könnte darüber schmunzeln, ja, gewiss, eine Spielerei. Aber ich habe sie bei all meinem Aussortieren von alten Dokumenten, Erinnerungsstücken, Ausweisen, Fahrkarten usw. stets aufbewahrt, weil ich so davon gerührt bin, wieviel Spaß am Ausprobieren, wieviel Humor – und wieviel Liebe in diesen kleinen Marken steckt.
Lieber Winni, ich bin am Ende sehr froh darüber, dass Du Angela „über die Schwelle“ hast begleiten können. Das war sicherlich schwer, und doch ein Glück – für sie und für Dich!
… und einige Wochen später:
„(…) Bei aufmerksamem Lesen Deiner Eindrücke von der Beerdigung und der Rede von Frau Villis ist mir ein Attribut von Angela aufgefallen, das gar keine Erwähnung gefunden hat. Vielleicht scheut man sich davor, dies bei einer Frau fortgeschrittenen Alters zu erwähnen (warum eigentlich?), aber: Angela war – neben allem anderem Erwähnten – eine strahlende Schönheit! Diese beiden Fotos von ihr von 1967 hauen einen ja um! Sie zeigen eine sehr sehr attraktive und leidenschaftliche junge Frau – mit ordentlich Schalk im Nacken. Und diese strahlende Lebendigkeit ist vielleicht das, was Du am meisten vermissen wirst. (…)“
Ein ehemalige Lehrerkollege:
„(…) Ich erinnere mich gern an zahlreiche Begegnungen: an gemeinsame Kolleg*innenfeste noch zu CBG-Zeiten, an gemeinsame Demonstrationen, an die sehr eindrücklichen Berichte von euren Friedens- und Hilfseinsätzen in benachteiligten Regionen dieser Welt, uvm. Nun ist euer gemeinsamer, so langer und intensiver Lebensweg zu Ende. H. und ich teilen deine große Trauer und wir sind mit Herz und Gedanken sehr nah bei dir und der verstorbenen Angela. (…)“
Ein ehemaliger Mitarbeiterkollege in der Fraktion und Freund:
„(…) Mit dem Teilen deiner Erinnerungen werden die persönlichen Erinnerungen an sie geweckt und am Leben gehalten. Und ich habe sie in allerherzlichster Erinnerung. Sie es war, die uns zusammenbrachte, in dem sie dir nach der Wahl 1994 geraten hat, den N.N. mit dem PDS/LL-Makel doch zumindest mal anzuschauen. Und sie war immer ein Teil des Teams, ob mit I., G., T., A. oder S.. Ihre herrliche Stimme, ihr Humor, das Strahlen ihrer Augen, ihr schönes und schickes Auftreten, das erfrischende Lachen, die Fähigkeit zur Selbstironie, ihr klarer innerer Kompass – all das habe ich vor Augen. In ihren Fotomontagen hat sie uns und die Politik oft wunderbar auf den Arm genommen, hochleben lassen oder persifliert. Ihre Geschenkverpackungen zu Weihnachten, Ostern oder zum Geburtstag waren jedes Mal ein kreatives und künstlerisches Fest. Viele ihrer Arbeiten zieren auch heute noch unser Haus. Sie ist und bleibt mit einem warmen Gefühl der Dankbarkeit in meinem Herzen. (…)“
Ein langjähriger grüner Mitstreiter:
„(…) Ich erinnere mich noch genau an die Berichte, die Angela aus den Flüchtlingslagern in Fernost während des Vietnamkrieges schickte. Seit der Zeit habe ich sie bis heute immer totale Hochachtung betrachtet, wohl wissend, dass ich selbst nie einen derartig riskanten und fordernden Einsatz gewagt habe. Nun hat Ihr mutiges Herz aufgehört zu schlagen. (…)“
Ein langjähriger Mitstreiter aus der Afghanistan-Solidarität:
„(…) Zwar habe ich Angela nicht persönlich kennen gelernt, aber ich habe doch einen Eindruck bekommen davon, wie sehr ihr euch gegenseitig erzählt und diskutiert und bestärkt habt. Meine Überzeugung ist daher auch, dass sie bei allem, was Du weiterhin tust auch immer dabei sein wird, in irgendeiner Form. Also lieber Winni, lass uns noch ganz viele spannende und wichtige Projekte machen, und ich glaube Angela wird Teil haben daran. (…)“
Meine und unsere Abschiedsworte
(als Anzeige am 5. Juni 2021 in den Westfälischen Nachrichten und in der taz)
„Der Mensch ist so lange nicht gestorben,
wie das Andenken an ihn noch lebt“
Margers Vestermanis, 96,
Überlebender des Rigaer Ghettos
Angela arbeitete als Kinderkrankenschwester auf der Kinder-Intensiv der Uni-Klinik Münster und im Rahmen des Notärzte-Komitees in Thailand-Kambodscha, Somalia und Uganda.
Malend, töpfernd, schneidernd, am Computer schuf sie zahllose Kunstwerke, mit denen sie vielen Freude schenkte.
Bei der Spurensuche und Erinnerungsarbeit zum Rigaer Ghetto war sie von Anfang an eine
zentrale menschliche Triebkraft und Stütze. Ihr Lachen und Feuer,
ihr offenes und warmes Herz, ihr Freiheitsdrang und ihre Direktheit waren ansteckend.
Mit Winni 55 Jahre gemeinsam auf Langstrecke war Angela seine geliebte Mitstreiterin,
Bodenstation und im füreinander Einstehen beste Kameradin.
Sie trug dabei die Hauptlast an Entbehrungen.
Angela starb plötzlich im Zusammenhang mit Corona.
Ihr Auftrag als zweiter Nachkriegsjahrgang bleibt: Frieden braucht Einsatz.
Bleibt weiter dran – klug, kräftig und ausdauernd!
In lebhafter Dankbarkeit Dein Winni