In freier Rede mit Tempo und Leidenschaft, Klarsicht und differenziertem Klartext
„Demokratie oder Autoritarismus? Deutschland und Europa im Zangengriff von Putin und Trump“ mit Albrecht von Lucke, 27. März 2025 im Franz-Hitze-Haus, Winfried Nachtwei (30.03./11.04.2025), www.facebook.com/winfried.nachtwei (30.03.) + https://www.linkedin.com/in/winfried-winni-nachtwei-a764a34a/?originalSubdomain=de
Veranstaltungsankündigung
80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs steht die Europäische Union ihrer größten Herausforderung gegenüber: Auf der einen, östlichen Seite betreibt Wladimir Putin seinen erbarmungslosen Krieg, auf der anderen, westlichen Seite droht mit Donald Trump ein neuer Faschismus. Zugleich gehört die einst so stabile Demokratie der alten Bonner Republik offensichtlich der Geschichte an. Vor allem die Lage in Ostdeutschland zeigt, dass die alten Volksparteien immer mehr von den populistischen Rändern her zerrieben werden. Eine neue antiwestliche Querfront aus AfD und BSW nimmt die kleiner werdende Mitte in die Zange.
Nähern wir uns also auch in Deutschland italienischen Verhältnissen? Können in dieser unübersichtlichen Lage noch taugliche Koalitionen gebildet werden? Oder triumphieren am Ende immer die Radikalen? Das alles gilt es zu analysieren, und zwar vor dem Hintergrund einer globalen Lage aus zunehmenden Krisen und Kriegen, bei denen eine autoritäre Internationale immer mehr an Boden gewinnt – von Höcke und Orban über Putin und Trump bis zu Xi Jinping.
Albrecht von Lucke ist Volljurist und Politikwissenschaftler. Seit 2003 ist er Redakteur der „Blätter für deutsche und internationale Politik“. Darüber hinaus ist er regelmäßiger Gast in Hörfunk und Fernsehen.
Veranstalter: Villa ten Hompel in Kooperation mit Evangelisches Forum Münster e.V., Förderverein der Villa ten Hompel, Gegen Vergessen – Für Demokratie Regionalarbeits-gruppe Münsterland e.V., Gesellschaft für Christlich Jüdische Zusammenarbeit Münster e.V., Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. in Westfalen Lippe.
Moderation: Robert von Olberg
Der Oscar-Romero-Saal des Franz-Hitze-Hauses ist voll besetzt. Albrecht von Lucke spricht weit mehr als eine Stunde völlig frei zur Krise der Demokratie in Deutschland und auf internationaler Ebene zu einem hoch konzentrierte Publikum – mit Tempo und Leidenschaft, Klarsicht und differenziertem Klartext. Audiomitschnitt der Veranstaltung auf www.youtube.com/watch?v=SmF-ub-0ZTc
Aus meinen Notizen
Der Schock des 5. November 2024: das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl. Am Tag vorher noch die Alte Welt, Erwartungen, Hoffnungen, das Strohfeuer von Harris. Das alles sei am 5.11. Makulatur geworden. Demokratie, Wohlstand, Frieden, Sicherheit – Ende der Illusionen. Zeit, sich völlig neu zu orientieren. Karl Popper sei von der Überlegenheit der Demokratie ausgegangen. Jetzt bestehen Zweifel, ob Demokratie stark genug ist gegenüber autoritären Führungen.
Schon am 6. November platzte die Ampel-Koalition. Die FDP hatte seit langem in einer Weise Opposition gegen die eigene Regierung gemacht, wie es das in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben habe. Die Bild-Zeitung führte Tag für Tag eine Kampagne gegen die Grünen, die diese regelrecht dämonisierte. Das Agieren des Kanzlers … von Kubicki. In der Situation der Wahl von Donald Trump Deutschland ohne Führung. Es war die Farce einer nicht ernstgenommenen Demokratie.
Wie stehen wir gegenwärtig dar? Das Ergebnis zeigte sich im Ergebnis der Bundestagswahl. Und dann Merz „ich schaue nicht nach links, nicht nach rechts“… In nur drei Jahren habe eine Bundesregierung soviel an Zustimmung verloren, wie noch nie zuvor. Wäre der BSW über 5% gekommen, wäre die Koalitionskonstellation noch schwieriger geworden, mit Schub für ein weiteres AfD-Wachstum. Früher repräsentierten Große Koalitionen über 80% der abgegebenen Stimmen. Heute …? Das sei ein enormer Verlust an demokratischer Stabilität. Wenn es Schwarz-Rot nicht schaffe …
Nach langen Stabilitätsphasen habe sich in drei Ampel-Jahren die Wählerschaft der AfD verdoppelt! Erstmals gebe es inzwischen eine rechts-konservative Mehrheit. Die Weigel-Strategie zur Union: „Wir werden sie jagen – und bieten die ausgestreckte Hand.“
Die neue Koalition begann mit einem schweren Glaubwürdigkeitsschaden. Die SPD werde jetzt ein stückweit konservativer werden. Die „Wunderwaffe Merz“ habe kaum gewirkt. Im Westen habe sie nur 4% dazugewonnen, die AfD aber 10%!
Die Krise der Demokratie auf internationaler Ebene
Die Demokratie der USA stecke in der tiefsten Krise seit 200 Jahren. Zzt. laufe eine Gleichschaltung der US-Administration. Der Supreme Court beschloss schon im Vorfeld Straffreiheit für en Präsidenten. Vieles, was bisher als Sprüche galten, wird jetzt ernst.
Die USA sehen sich gegenüber ihren jahrzehntelangen Verbündeten nicht mehr als Alliierte, Freunde, sondern als Gegner. Die inszenierte Vorführung und Demütigung des ukrainischen Präsidenten. Man sei absolut bereit, die Ukraine für einen Deal mit Russland fallenzulassen. Verlässlichkeit gegenüber den NATO-Partnern sei nicht mehr zu erwarten. Die Vorstellung vom „Großen Bruder“, der im Notfall helfe, habe ich erledigt. Der Große Bruder stehe auf der Seite des Gegners.
Wie kann da Frieden erhalten werden?
Zuerst gelte es, sich ehrlich zu machen. Tatsächlich gab es eine sicherheitspolitische Trittbrettfahrerei der Europäer gegenüber den USA. Schon Obama betonte das 2%-Ziel für Militärausgaben in der NATO. Das wurde lange nicht ernstgenommen. Schon Konrad Adenauer traute Anfang der 50e Jahre dem Frieden in Europa nicht und drängte auf eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft.
Zzt. sind wir ein einem Niemandsland, wo alte Gewissheiten nicht mehr gelten. Ein solcher Krieg wie in der Ukraine war jahrzehntelang in Europa nicht vorstellbar.
Die in Deutschland verbreitete Schlussfolgerung aus dem 20. Jahrhundert war: Wenn Deutschland friedlich bleibt, dann sei Frieden sicher. Auch in den letzten drei Jahren habe man sich weiter auf die Rolle Russlands verlassen. Der spanische Ministerpräsident betonte gerade die Soft Power der EU als ihre besondere Stärke. In der EU bröckele die Solidarität mit der Ukraine dramatisch. Und auch für große Teile der deutschen Gesellschaft liege die Ukraine weit weg – dazwischen liege ja noch Polen. Die Pazifizierung des Landes komme jetzt an ihre Grenzen.
Zurecht sei ein Politikverständnis, das nur nach Freund – Feind unterscheide, abzulehnen. Eine Illusion sei es aber, dass es überhaupt keine Feinde mehr gebe. Putin habe uns längst zu Feinden erklärt. In Moskau gebe es inzwischen Autoaufkleber mit „Auf nach Berlin“. „Si vis pacem para bellum“ (Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor) lasse sich nicht mehr pauschal abtun …
Die Protestplakate des BSW „Kriegskredite 1914-2025“ bei der Bundestagsdebatte über Schuldenpakete für Verteidigung und Infrastruktur brachten eine absurde Gleichsetzung
Nach einigen Publikumsfragen meine Anmerkungen zum Schluss:
Danke Ihnen, Albrecht von Lucke, für ihren politischen und intellektuellen Mut. Sie machen sich rücksichtslos ehrlich, indem Sie bisherige Gewissheiten überprüfen und lang andauernde Illusionen als solche benennen. Ihre Rede habe ich als wichtigste Rede seit Jahren erlebt. (starker Beifall)
Die meisten der die Veranstaltung unterstützenden Organisationen widmen sich einem Lernen aus der Geschichte.
Sie sprachen eine in Deutschland verbreitete Interpretation des „Nie wieder!“ an, dass von Deutschland nie wieder Aggression und Krieg ausgehen dürfe. Völlig richtig. Nicht wahrgenommen wurde aber dabei, dass in vielen von Nazi-Deutschland überfallenen Ländern, vor allem im Osten, dieses „Nie wieder!“ weiter buchstabiert wird: als „Nie wieder wehrlos, nie mehr allein sein!“
Das war die kollektive Erfahrung der 30 Jahre: Nazi-Deutschland konnte seine europäischen Nachbarn der Reihe nach überfallen und verheeren, weil sie wehrlos und allein waren. Diese Grunderfahrung schlug sich 49 Tage nach Ende des Weltkrieges in Europa in der Charta der Vereinten Nationen nieder: Die Menschheit von der Geißel des Krieges befreien – und zugleich schon in Artikel 1 Vorsorge treffen für die gemeinsame Bewältigung von Friedensstörungen und Aggressionen.
Zusammengefasst: Friedensfähigkeit braucht Wehrhaftigkeit! Da können wir von unseren Partnern im (Nord-)Osten einiges lernen.
„Europa in der Faschismuszange“ von Albrecht von Lucke https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/dezember/europa-in-der-faschismuszange