Demonstrationen für Demokratie und Vielfalt gegen Rassismus und Rechtsextremismus in Münster – mit wem gegen wen?

Die Demos der letzten Woche haben eine gesellschaftliche Breite wie selten zuvor. (Nicht nur) In Münster gibt es Streit um das MIT WEM GEGEN WEN? Mein Leserbrief und Erfahrungsbericht:

Demonstrationen für Demokratie und Vielfalt  gegen Rassismus und Rechtsextremismus in Münster, Winfried Nachtwei (15.02.2024)

Am 19. Januar kamen für diese existentiellen Gemeinschaftsziele auf dem Münsteraner Domplatz über 20.000 Menschen zusammen, so viele wie noch nie nach meiner bis in die 60er Jahre zurückreichenden Demoerfahrung in Münster. Die Zugänge zum Domplatz mussten tatsächlich wegen Überfüllung geschlossen werden. Aufgerufen hatte das Bündnis „Keinen Meter für Nazis“, das seit 2012 (!) ausdauernd Kundgebungen und Demonstrationen organisiert, zeitweilig auch wöchentlich gegen die „Montagsgänge“ der Coronaleugner und -verharmloser.

Anlässlich des erneuten Jahresempfangs der AfD am 16. Februar im Historischen Rathaus von Münster rufen das Bündnis und inzwischen viele andere Organisationen und Gruppen der Stadtgesellschaft zum Protest auf dem Prinzipalmarkt und dem angrenzenden Domplatz auf. Im Vorjahr kamen 5.000 Menschen. In diesem Jahr werden es deutlich mehr sein.

Wo es entscheidend darauf ankommt, dass die demokratische Bürgerschaft in ihrer Breite Gesicht zeigt und das sonst vorherrschende Schweigen durchbricht, gibt es leider Streit um diese politische Breite. Das zeigte sich schon teilweise am 19. Januar, als ein erster Redner die Ampelparteien und die CDU als Wegbereiter der AfD denunzierte (und viel Protest erfuhr) und als organisierte Antifa-Demonstranten vor der Bühne massiv z.B. die Reden zweiter Landtagsabgeordneten störten.

Zum Protest gegen den Neujahrsempfang beschloss das Bündnis nach kontroverser Diskussion, dass Redner von CDU und FDP und sogar der direkt gewählte Oberbürgermeister Markus Lewe nicht reden dürfen. Dazu mein Leserbrief an die örtlichen Westfälischen Nachrichten (WN) und ein kurzer Erfahrungsbericht von einer Kundgebung in meinem Stadtteil Gievenbeck am 10. Februar.

  Zu „Keine Bühne für CDU und FDP“ (WN 14.02.2014)

Anlässlich des Neujahrsempfangs der AfD im Rathaus für Demokratie und Vielfalt gegen deren Politik zu demonstrieren, ist voll unterstützenswert. Die Demo soll ein starkes Zeichen für wehrhafte Demokratie sein. Dem läuft die Entscheidung des Veranstalter-Bündnisses „Keinen Meter für Nazis“ zuwider , das  keine Redner der demokratischen Parteien CDU und FDP auftreten lassen will. Diese Haltung ist anmaßend, ausgrenzend und völlig kontraproduktiv. Vertretern dieser Parteien, die für eine wirksame Bekämpfung des Rechtsextremismus unverzichtbar sind, wird das öffentliche Wort untersagt. Die faktische Botschaft ist: ein erheblicher Teil der demokratisch gesonnenen Bürgerschaft ist unerwünscht.

Bei der erfreulicherweise von 500 Menschen besuchten Kundgebung „Gievenbeck gegen Rechts“ am letzten Samstag gingen Vertreter der aufrufenden Gruppen (VVN-BdA, Gievenbeck solidarisch) noch weiter. Sie warfen der Union und den Ampelparteien nicht nur vor, Wegbereiter der AfD zu sein. Sie wandten sich auch generell gegen Parteiredner mit der Begründung, parteipolitische Vereinnahmung verhindern zu wollen. Dass „Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken“ (Art. 21 Grundgesetz) – egal!

Umso mehr gilt: Das Zeichen für wehrhafte Demokratie muss breit und vielfältig aufgestellt sein. Sektiererische Verengung macht wehrlos.

Winfried Nachtwei, Mitglied im Vorstand von „Gegen Vergessen – Für Demokratie“

Im Vorfeld

hatte mich beunruhigt, was ich am letzten Samstag in meinem Stadtteil bei der Kundgebung „Gievenbeck gegen Rechts“ erlebt hatte.

Hierzu hatten dankenswerterweise die VVN-BdA und „Gievenbeck solidarisch“ aufgerufen. Rund 500 Menschen kamen zusammen, so viel wie wohl noch nie zu einer Demonstration in Gievenbeck. Ausgezeichnet, den Demokratieprotest gegen die AfD in den Nahbereich, die Nachbarschaft zu bringen. Eine große Chance! Einige wirklich gute Reden gab es zu hören: so von der „Wunderkasten“-Buchhändlerin, von Yvonne vom Mehrfamilienhaus und Mütterzentrum, dem evangelischen Pfarrer, aufschlussreiche Afd-Einblicke von Andreas.

Überschattet wurden diese Lichtblicke aber von Redebeiträgen und Plakaten, die ausdrücklich nicht nur gegen Rechtsextremismus, sondern unterschiedslos gegen Rechts polemisierten und auch die Ampelparteien als Wegbereiter der AfD denunzierten (z.B. „Wer nicht denkt und wer nichts weiß, der glaubt den ganzen Nazi-Scheiß!“ Daneben eine Ampel mit Rot, Grün – und dem AfD-Blau; oder „Keine Liebe für Rassisten, mehr Hass und Hetzte gegen Rassisten!“)

Zwei schwarz gekleidete Jüngere vom Recherche- und Protestkollektiv Busters (ehemals Schwurbel-Busters) hielten mit Maskenvermummung Reden, die zweite aggressiv schreiend. Redner der Veranstaltergruppen (Isaak/VVN, Adrian Gievenbeck solidarisch), begründeten den grundsätzlichen Ausschluss von Parteirednern mit der Absicht, parteipolitische Vereinnahmung und parteipolitische Grabenkämpfe verhindern zu wollen. „Die Bewegung gegen Rechts entsteht in der Zivilgesellschaft und wird von ihr getragen. Parteien sollen umsetzen, was gefordert wird, und nicht versuchen, die Proteste für sich zu vereinnahmen.“ Basta! Dass „Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken“ (Art. 21 Grundgesetz) – egal.

Eine Frau, die mit einem Plakat für „Nur Rechts und Links vereint wirkt gegen Faschismus“ warb, weil sie die pauschale und unterschiedslose Gleichsetzung von Rechts und Rechtsextrem für falsch hält, stieß auf teils interessierte, teils zustimmende, teils fragende und kritische Reaktionen. Bald aber wurde sie von drei Personen, darunter den zwei Busters-Rednerinnen, massiv und lautstark bedrängt, das Plakat zu entfernen und die Kundgebung zu verlassen. Bei einer Attacke wurde das Plakat beschädigt. Bitten um Beistand gegen die fortlaufende Belästigung und Nötigung fanden bei Organisatoren der Kundgebung keine Resonanz. Ein Veranstalter behauptete, die Aussage des Plakats sei auf der Kundgebung unzulässig.

Als in Sachen Linksextremismus nicht Unerfahrener beobachte ich hier sowas wie Linksautoritarismus, der keine Probleme damit hat, Parteien – „denen da oben“ – Instrumentalisierung vorzuwerfen, eine solche aber selbst bei den ermutigenden Massenkundgebungen gegen Rassismus und AfD im eigenen Sinne versucht.

Ich sprach mehrere Bekannte, darunter ein langjähriger Ladeninhaber und ein jahrzehntelanger Freund, früher Genosse, die angesichts der Art und Inhalte eines Teils der Reden vorzeitig gegangen waren.

 

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